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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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gefragt hatte, welche Wege der Tod damit noch zurücklegen musste, um zu ihm zu kommen. Dann war jeder wieder nach Hause gegangen. Das Lager war in Eile aufgeschlagen worden. Der Aufruf zur Sammlung war wie eine Welle über die Gegend geschwappt und hatte über tausend Menschen angezogen, darunter Einwohner aus Teramo, Soldaten, Arbeiter, Studenten. Flüchtlinge aus den Lagern des Sektors. Vor allem Amerikaner, Engländer, ein paar Neuseeländer. Nach allem, was sie wussten, befanden sich unter den Anführern der Gruppe Angehörige aller antifaschistischen Tendenzen. Alte wie junge Männer waren ausgebildet worden, Maschinengewehre waren zum Vorschein gekommen. Die Kämpfer, besonders die, die schon sehr früh eingetroffen waren, gewannen immer mehr den Eindruck, dass etwas Wichtiges bevorstand. Sie selbst waren erst vor kaum vierundzwanzig Stunden angekommen und man hatte sich ihrer sogleich angenommen, und sie eilig ausgebildet. Drei Tage vorher hatte der Kommunist Rodomonti mit einem Überraschungsangriff in Teramo alles losgetreten, als er mit knapp zwanzig Mann eine Kaserne überfallen hatte, deren unzureichende Bewachung ein Anzeichen für den unbemerkten Zusammenbruch des Faschismus in der Region war, obwohl die Deutschen eben dort ihre Vorposten eingerichtet hatten. Diese Aktion war keine Provokation, sondern Kalkül, eine Falle. Da sie in der Kaserne nicht in der Lage waren, sich zu verteidigen, hatten sie natürlich die deutsche Führung kontaktiert, und daraufhin hatte sich eine motorisierte Kolonne auf den Weg gemacht, zuerst nach Teramo und von dort nach Bosco Martese. Unterwegs waren in der Nähe von Torricella, in der Mühle von Jacobis, die die Partisanen versorgte, sieben Partisanen gefangen genommen worden, die als menschliche Schutzschilde an die Spitze der Kolonne gesetzt wurden, es war klar gewesen, dass die Deutschen so handeln würden: Sie taten genau das, wozu Rodomonti und seine Männer sie gezwungen hatten. Und damit tappten sie in die Falle. Auf der Serpentinenstraße wurden sie von zwei Partisanengruppen in die Zange genommen. Die Chinesen waren Teil der ersten Gruppe. Sie hatten ein Gewehr in der Hand und Deutsche im Visier. Ein Schuss aus einem dieser Gewehre ist ein kurzes Klicken, das einem nur laut vorkommt, wenn es zuvor absolut still gewesen ist. Es ist höchstens so laut wie ein brechender Ast. Ein murmelnder Bach genügt, um es zu übertönen. Und als das Maschinengewehr Saint Étienne gegen halb eins die Stille zerriss, hörte man diese Gewehre kaum. Als dann die Scheiben des ersten Lastwagens und anschließend die des zweiten zersplitterten, als der dritte Wagen eine Vollbremsung machte und den bewaffneten Männern keine Zeit blieb, auf das Feuer aus den Dutzenden Gewehren zu reagieren, die auf sie schossen, hörte man die Gewehre der vier Chinesen nicht besonders heraus, die, ohne sich dessen bewusst zu sein, dort an der ersten offenen Kampfhandlung des italienischen Antifaschismus teilnahmen.
    Für sie, so wie für alle hier, war dieser Kampf von unbestreitbarer Notwendigkeit. Ihre Finger drückten den Abzug, ihre Augen zielten. Sie töteten. Die überquerten Ozeane, dann dieses Leben in einer erneuten Gemeinschaft in Tossicia, in Isola, dann diese Wälder, die komprimierte Zeit, die wieder einsetzt, und dort dann also diese Waffe, die Blätter, auf denen sie lagen, die feuchte Luft, der düstere Himmel und die Deutschen, die unter ihren Kugeln fielen. Sie beschränkten sich in ihrem Bericht zwar auf die Tatsachen, aber dies waren die Splitter ihrer Wirklichkeit, die durch ihre Worte reisten, all diese Splitter, all diese Etappen, damit ein Soldat in seinen Bewegungen erstarrt und stirbt. Alle vier legten besonderen Nachdruck auf diesen Augenblick, die anderen lauschten ihnen gebannt. Jeder wollte etwas von diesem Augenblick zurückbehalten, in dem man ohne besonderen Hass, aber auch ohne Mitleid einen Schädel explodieren lässt, mit derselben Konzentration, mit der man auf einen Reifen eben jenes Lastwagens zielt, der den Mann transportiert, dessen Schädel explodiert. Weil der Konvoi aufgehalten werden muss. Weil es gilt, eine Welt umzudrehen. Weil man Menschen nicht in ein Lager sperren kann.
    Sie waren für den Ausgang der Schlacht nicht maßgebend gewesen, da waren hundert Gewehre gewesen, die eine wichtigere Rolle gespielt hatten als sie. Man hatte ihnen ihren Platz an einem kleinen Felsvorsprung unterhalb des Geschehens zugewiesen, der weder in der strategisch
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