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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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Zeit der Lähmung wurde von einer ganzen Reihe harter Monate abgelöst und von allen denkbaren Facetten der Brutalität. Es waren auch die Monate, in denen die Chinesen einer nach dem anderen an dieselben Schwellen gelangten wie die im September Entkommenen. Man müsste erzählen, was für ein weiteres Schicksal jeder Einzelne in den vom Aufruhr erfassten Abruzzen erlebte. Man müsste erzählen, welches Schicksal Tchang ereilte, der am 22 . Oktober von den Deutschen verhaftet wurde, im Besitz eines Radios, wofür er unerbittlich zum Tode verurteilt wurde. Der Mann, der zwei Jahre lang, mit Hilfe von unzähligen staatlichen Sondergenehmigungen des Vatikans, in der Höhle des Löwen gelebt hatte, der sein Leben hinten angestellt hatte, um inmitten dieses toten Meeres geopferter Menschen zu sein, war im Morgengrauen abgeholt worden, nachdem irgendwer aus dem Ort ihn aus Eifersucht angeschwärzt hatte, eine zu leichte Beute, als dass die Deutschen sie sich hätten entgehen lassen. Eine Geschichte der Chinesen von Isola müsste von all dem erzählen, so wie sie auch erzählen würde, dass Tchangs Gefängnis wenige Stunden vor seiner Hinrichtung bombardiert wurde, so dass er fliehen konnte, erst einmal in den nächsten Schatten, dann in den Wald und von dort aus nach und nach bis in den Vatikan. Von dieser Reise müsste man erzählen, von ihren Stationen, von der an jedem Zufluchtsort wiederholten Geschichte, von der Überquerung der Apenninen, und dann, eines Tages, Rom. Man würde auch berichten, welches Erstaunen Tchangs Verhaftung im Lager hervorrief, und von der Kälte, die zur schon vorhandenen Kälte hinzukam, von der Hypothese, dass bald das Ende da wäre. Man müsste berichten, dass sich diese Ahnung als richtig erwies, als vier Tage später die deutschen Soldaten kamen, um hundertzwei von den Chinesen mitzunehmen und einige davon in andere, weiter nördlich gelegene Lager zu bringen, andere in Gebiete, wo sie Erdarbeiten verrichten mussten. Man müsste auch erzählen, welche Panik diese Verlegungen auslösten angesichts des Vorstoßens der Alliierten von Süden her und welche Auswirkungen diese Panik auf die Chinesen hatte, die von ihr ergriffen wurden. Man müsste erzählen, wie der November war, als das Lager zu zwei Dritteln leer war und jeder Blick, der einem anderen begegnete, von der Abwesenheit sprach und vom unbekannten Ziel der Abwesenden. Ein November der Kälte und des Krieges, der nun wirklich zurückgekehrt war, als die Bombardierungen der Engländer auf Giulianova und sogar auf Teramo der Schlacht am Sangro vorausgingen und alle möglichen Gerüchte in Umlauf brachten, in denen von Massenflucht, Feuersbrunst, Massakern die Rede war. Man müsste von den Tagen erzählen, als die Deutschen schließlich die Leitung des Lagers übernommen hatten, das sie nicht verstanden, diese Tage, als schweigende Chinesen unter ihrer Bewachung aßen, schliefen, für den Besatzer ein Klotz am Bein, mit all der Nervosität und den Schlägen, die das mit sich brachte. Eine Geschichte der Chinesen in Isola würde von all dem berichten und auch von der direkten Konsequenz: die Evakuierung der Chinesen in den Norden, jedenfalls wenn das stimmt, was man den wenigen Einwohnern gegenüber, die sich trauten, neugierig zu sein, durchblicken ließ. Man müsste von ihrer Abreise im Lastwagen erzählen und von den stummen Familien, die entlang der Dorfstraße und auf den Eingangstreppen der massiven Häuser standen, um ihnen ein Zeichen zukommen zu lassen, alles Bauern, die der Kälte trotzten, um den Chinesen, die da fortgebracht wurden, ein Lächeln zu schenken oder ihnen zuzuwinken, Menschen, die zu ihnen gehört hatten und die sie doch nicht kannten. Und dann müsste man davon erzählen, wie dieser seltsame Konvoi bis nach Sulmona gekommen war, wo er in einen Luftangriff geriet, bei dem nicht verhindert werden konnte, dass die meisten von ihnen flohen. Man müsste erzählen, dass die anderen nach Ferramonti gebracht wurden. Man müsste in der Lage sein, nacheinander vom Schicksal eines jeden von ihnen zu erzählen. Setzten sie ihren Weg gemeinsam fort? Gingen sie getrennter Wege? Ihre Geschichte würde auch berichten, was die letzten Worte waren, die sie wechselten. Sie würde erzählen, was sie einander versprachen, sofern sie dazu Zeit hatten, als sie ihre Freiheit und ihre Zerstreuung auf sich zukommen sahen, nachdem sie zum Teil zwei Jahre lang gezwungenermaßen Seite an Seite gelebt hatten. Wo gingen sie anschließend
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