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111 - Wenn das Grauen sich erhebt

111 - Wenn das Grauen sich erhebt

Titel: 111 - Wenn das Grauen sich erhebt
Autoren: A.F.Morland
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fern, wo du an dir etwas feststellen wirst, das dich verblüffen und verwirren wird, mein Kind«, hatte Sandra Marell kurz vor ihrem Tod zu ihrer Tochter gesagt. »Du brauchst deshalb jedoch keine Angst zu haben. Komm zu mir, wenn es soweit ist. Wir werden dann ausführlich darüber reden.«
    Ist es heute nacht soweit? fragte sich Mirjana. Was soll ich tun? Mutter lebt nicht mehr.
    » M-i-r-j-a-n-a! « Sie wurde wieder gerufen, und voller Entsetzen registrierte sie, daß sie sich bereits erhoben hatte.
    Es war ihr nicht aufgefallen.
    »Komm!« rief die unheimliche Stimme.
    Ich gehorche! dachte das Mädchen verstört. Das darf ich nicht! Ich muß hierbleiben, darf das Zimmer nicht verlassen!
    Aber sie begab sich trotz dieser Gedanken zur Tür. Grace Morton schien der letzte Rettungsanker für sie zu sein.
    Ruf sie! forderte sie sich auf. Bitte sie, dich zurückzuhalten!
    Doch die Tür war bereits offen, und eine Kraft, der sich Mirjana nicht zu widersetzen vermochte, zog sie vorwärts.
    Sie betrat den schummrigen, kalten Flur, dessen Wände mit dunklem Holz getäfelt waren.
    Hier draußen war die Stille noch drückender. Sie legte sich auf Mirjanas Brust und erschwerte ihr jeden Atemzug.
    Wie soll ich das durchstehen? fragte sich das Mädchen. Die Angst bringt mich um!
    » M-i-r-j-a-n-a!« Schaurig flog ihr der Ruf entgegen - der Lockruf des Bösen, dem sie gehorchen mußte.
    Lautlos, als wäre sie selbst ein Gespenst, schlich Mirjana durch das nächtliche Internat.
    Sie erreichte die Treppe und setzte ihren Fuß auf die erste Stufe. Sie schloß jetzt schon mit ihrem Leben ab, denn sie glaubte zu wissen, daß das Verderben sie erwartete und daß sie diese Nacht nicht überleben würde.
    Tränen rannen ihr über die Wangen, während sie zur finsteren Halle hinunterstieg.
    Im Geist rief sie flehend ihre Mutter, obwohl ihr die Vernunft sagen mußte, daß sie Sandra Marell auf diese Weise nicht erreichen konnte.
    Aber zum Teufel mit der Vernunft…
    »Es ist soweit, Mirjana«, vernahm das Mädchen plötzlich Sandra Marells Stimme.
    »Mutter…!« Mirjana blieb verdutzt stehen.
    »Der große Augenblick ist gekommen, mein Kind«, sagte Sandra Marell. Ihre Stimme klang so deutlich, als stünde sie direkt vor ihrer Tochter.
    Aber Mirjana konnte sie nicht sehen. »Mutter, wo bist du?« fragte sie verwirrt.
    »Ich bin bei dir, aber ich kann dir nicht mehr helfen«, antwortete Sandra Marell. »Du bist auf dich allein gestellt, aber ich bin zuversichtlich, daß du an dieser Prüfung nicht scheitern wirst.«
    »An welcher Prüfung? Ich verstehe dich nicht, Mutter.«
    »Hab keine Angst, mein Kind. Du bist stark; stärker, als du denkst. Du wirst es erfahren. Es wird in dir erwachen, und du wirst dich seiner bedienen. Hinterher wirst du verstehen. Viel Glück, Mirjana…«
    Die Worte verwehten in der Dunkelheit.
    »Mutter!« rief das Mädchen, als könnte sie Sandra Marell damit zurückholen und festhalten, doch ihre Mutter antwortete nicht mehr.
    Mirjana ging weiter.
    Etwas leitete sie - ein Gefühl, ein Impuls.
    Und in ihr erwachte die Entschlossenheit zu kämpfen - egal, wie stark der Feind sein würde.
    »Du bist stark; stärker, als du denkst«, hatte Sandra Marell gesagt.
    Darauf baute Mirjana. Es machte ihr Mut, verlieh ihr Selbstvertrauen. Ihre Mutter hätte sie niemals belogen.
    Das Mädchen tappte durch die große Halle. Die unheimliche Stimme rief sie nicht mehr. Vielleicht hätte sie umkehren können, aber das wollte sie nicht.
    Es gab einen Trakt im Schloß, den die Schüler nicht betreten durften. Niemand kannte den Grund für dieses Verbot. Man nahm es einfach zur Kenntnis.
    Heute nacht würde sich Mirjana jedoch darüber hinwegsetzen. Nicht aus simpler Neugier, sondern weil sie herausgefordert worden war und weil sie diese Herausforderung annehmen wollte.
    Es würde dort, in diesem verbotenen Trakt, zu einem Kräftemessen besonderer Art kommen.
    Ein finsterer Gang führte das Mädchen auf eine Tür zu, die wie von Geisterhand bewegt zur Seite schwang, als sie sich ihr näherte.
    Kälte, vermengt mit muffigem Modergeruch, wehte sie an. Wie in einer Gruft…
    Die Tür war jetzt offen - wie ein großes, rechteckiges Maul, das Mirjana verschlingen wollte.
    Dahinter zitterten in den Ecken graue, staubige Spinnweben wie alte, zerschlissene Schleier.
    Mirjanas Schritt verhielt einen kurzen Moment. Ihr kam die Befürchtung, daß sie sich zuviel zumutete.
    Was dann?
    Sie war allein hier unten. Niemand wußte von ihrem
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