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111 - Wenn das Grauen sich erhebt

111 - Wenn das Grauen sich erhebt

Titel: 111 - Wenn das Grauen sich erhebt
Autoren: A.F.Morland
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Mirjana.
    Grace Morton griff mit ihrer schlanken Hand nach der Bettdecke und schlug sie zur Seite.
    »Ich muß verrückt sein«, sagte sie. »Warum tue ich das bloß?«
    Mirjana lächelte sie dankbar an. »Weil wir Freundinnen sind.«
    »Manchmal wär’s fast besser, ohne Freunde auszukommen.«
    »Das darfst du nicht sagen.«
    »War’n Scherz«, gab Grace Morton zurück und schwang die Beine aus dem Bett.
    Sie stand auf, schlüpfte in die Pantoffeln und griff nach ihrem Schlafrock, um ihn rasch anzuziehen.
    Nachdem sie den Stoffgürtel zu einer exakten Schleife gebunden hatte, meinte sie: »Na schön, gehen wir. Aber eines möchte ich noch festhalten: Wenn uns die Internatsleiterin erwischt, fliegen wir, dessen bist du dir hoffentlich bewußt.«
    »Wir werden leise sein«, sagte Mirjana.
    Diesmal zog auch sie ihren Schlafrock an, und auch sie schob ihre schmalen Füße in Pantoffeln.
    Mirjana hatte für das, was geschehen war, keine Erklärung. Sie hoffte, sich nun eine verschaffen zu können.
    Wer war der Geistermann? Warum hatte er sie zu sich gerufen? Um sie zu töten? Ein kaltes Kribbeln kroch über die Wirbelsäule des Mädchens.
    Ich war im verbotenen Trakt und befand mich gleichzeitig in meinem Bett, dachte sie. Grace hat recht, wenn sie behauptet, kein Mensch könne gleichzeitig an zwei Orten sein. Bedeutet das, daß ich… kein Mensch bin?
    Etwas würde in ihr erwachen, hatte ihre Mutter gesagt. Was? Sandra Marells Erbe?
    Bis heute wußte Mirjana nicht, woran ihre Mutter gestorben war. Man hatte es ihr nicht gesagt. Man hatte sie nur bedauernd angesehen und sie mit Worten getröstet, die in solchen Situationen immer wieder Verwendung fanden.
    »Du mußt jetzt stark sein… Du wirst darüber hinwegkommen… Die Zeit heilt alle Wunden… Das Leben geht weiter… Wir werden immer für dich dasein, wenn du uns brauchst…«
    Schöne Worte. Aber wer hatte sie schon ernst gemeint? Mirjana hatte gemerkt, wie sich die Menschen von ihr zurückzogen, als hätte sie eine ansteckende Krankheit.
    Eine Krankheit, an der wahrscheinlich auch Sandra Marell gelitten hatte. War der Keim von der Mutter auf die Tochter übergegangen?
    Mirjana hatte ihre Mutter auf dem Friedhof noch einmal sehen wollen. Am offenen Grab hatte sie gebeten, den Sarg zu öffnen, doch man hatte ihrem Wunsch nicht entsprochen.
    Es wäre besser für sie, wenn sie ihre Mutter so in Erinnerung behalten würde, wie sie sie zuletzt - lebend - gesehen habe, meinte man wohlwollend, und dann trachtete man, den Sarg so rasch wie möglich unter die Erde zu bringen.
    Warum diese Eile? hatte sich Mirjana gefragt.
    Doch schließlich hatte sie sich damit abgefunden, daß sie die Wahrheit nie erfahren würde.
    Sie ging jetzt mit Grace Morton zur Tür und öffnete sie. Ihre Freundin hielt, sie am Arm zurück und schaute sie mit ihren himmelblauen Augen ernst an.
    »Hast du dir das auch reiflich genug überlegt, Mirjana? Wir riskieren wegen eines Hirngespinsts…«
    »Ich weiß, was wir riskieren«, fiel Mirjana der Zimmergenossin ins Wort
    »Okay. Ich wollt’s nur noch mal festhalten«, sagte Grace und fuhr sich mit den Fingern durch das blonde Haar.
    Sie verließ mit Mirjana das Zimmer. Lautlos schlossen die Mädchen die Tür. Stille herrschte im Geister-Internat. Es war so dunkel, daß Mirjana nur die Umrisse der Freundin erkennen konnte. Die Mädchen erreichten die Treppe und stiegen die Stufen vorsichtig hinunter.
    Grace Morton blieb dicht hinter ihrer Freundin, und sie hörte nicht auf zu maulen. Aber Mirjana schenkte ihren Worten keine Beachtung.
    Zielstrebig setzte sie ihren Weg fort. Diese Nacht würde ein großes Geheimnis preisgeben, das glaubte Mirjana zu fühlen.
    Ich werde etwas über mich erfahren! dachte sie. Mutter sagte, es wäre soweit! Ich hörte ihre Stimme ganz deutlich -hier auf der Treppe.
    »Wenn du dir etwas in den Kopf setzt…!« brummte Grace Morton hinter ihr, »Es ist schrecklich mit dir, Mirjana. Immer mußt du deinen Willen durchsetzen. Ich hätte nein sagen sollen. Das hätte meinem Ego bestimmt gutgetan.«
    Sie gelangten in den düsteren Gang, der auf jene Tür zuführte, durch die man den verbotenen Trakt betreten konnte.
    »Zum letzten Mal - sei doch vernünftig, Mirjana«, sagte Grace Morton. »Laß uns umkehren und die Sache überschlafen. Wenn du morgen immer noch den Wunsch hast, den verbotenen Trakt zu betreten, werde ich dich begleiten. Ist das ein Angebot?«
    »Wir tun es jetzt!« gab Mirjana entschieden zurück und trat
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