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109 - Die Atemdiebin

109 - Die Atemdiebin

Titel: 109 - Die Atemdiebin
Autoren: Bernd Frenz
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Haupthaar trotz des Serums nur ungleichmäßig spross. Die kahlen Stellen zwischen dem roten Flaum hatten ihr nicht gefallen, deshalb der Griff zum Rasierer.
    Wenn auch in der berechtigten Hoffnung, dass mit der Zeit auch die übrigen Haarwurzeln reaktiviert wurden.
    In einem privaten Moment hatte sie Matt anvertraut, dass sie sich schulterlanges Haar wünschte, und er hoffte für sie, dass dieser Wunsch eines Tages in Erfüllung gehen würde.
    Im Augenblick erweckte die Kommandantin aber keinen sonderlich an Mode und Frisuren interessierten Eindruck. Ihre grünen Augen funkelten tatendurstig inmitten des pigmentarmen, blassen Gesichtes. Eine maßgeschneiderte Uniform, die im Schnitt der von Matt ähnelte, kleidete ihren schlanken Körper. Sie studierte gerade eine Karte auf einem LCD-Wandschirm, sah kurz zu den Eintretenden herüber und bat alle näher.
    »Sie konnten Funkkontakt zu einer Kolonie aufnehmen?«, fragte Matt, nachdem er seinen Platz eingenommen hatte.
    »Ja.« Captain McDuncan strahlte vor Freude über den Erfolg. »Es war ein gutes Stück Arbeit, trotz des Frequenzscanners, aber es hat sich gelohnt. Nachdem die Franzosen ihre erste Überraschung überwunden hatten, klangen sie sehr entgegenkommend. Sie haben uns Daten und Flugkoordinaten übermittelt und für heute Nachmittag zu einem Treffen geladen.«
    »Gute Arbeit«, lobte Matt, obwohl er nicht ihr Vorgesetzter war. Es handelte sich um eine freundliche Bemerkung unter Kollegen, die bei Aruula allerdings auf wenig Gegenliebe stieß.
    Missmutig rümpfte sie ihre Nase und bewegte die Lippen zu einem lautlosen Plappern, um Selinas Vortrag nachzuäffen.
    Auf dem Monitor sahen sie sich die eingeblendete Flugroute an. Es ging gut zwanzig Kilometer flussabwärts, bis zu einem Punkt, an dem die Rhone knapp unterhalb von Lyon mit einem weiteren Fluss, der Saone zusammenstieß.
    »Also gut, versuchen wir unser Glück«, beendete Captain McDuncan ihre Ausführungen an der Karte, bevor sie befahl:
    »Schleusen dicht, jeder auf seinen Platz. Start in drei Minuten.«
    Lieutenant Shaw eilte bereits in die Kanzel. Und auch die anderen erwiesen sich als eingespieltes Team. Ohne Gedränge nahm jeder seinen Platz ein. Matt und Aruula ließen sich nahe der Konsole des Aufklärers in zwei Konturensesseln nieder und schnallten sich an.
    »Kannst du das bitte in Zukunft lassen?«, bat Matt in gedämpften Ton. »Das war unfair und außerdem ziemlich kindisch.«
    »Wovon redest du?« Aruula ordnete ihr langes, rabenschwarzes Haar, obwohl es perfekt den Rücken hinab floss. Eine ihrer liebsten Gesten, wenn sie Captain McDuncan in der Nähe wusste.
    »Du weiß genau was ich meine.«
    »Und du weiß genau, warum ich es getan habe.« Über Aruulas Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte. »Ständig steckt ihr beiden die Köpfe zusammen und redet kompliziertes Zeug, von dem ich nichts verstehe. Und dann lacht ihr und lobt euch gegenseitig.« Schmollend schob sie die Unterlippe vor.
    Matt mühte sich, ein Seufzen zu unterdrücken. »Die Kommandantin und ich arbeiten gut zusammen, das ist alles«, erklärte er gelassen. »Wir sind beide Piloten, das verbindet uns. Aber ich würde niemals mit ihr einen schönen Wasserfall betrachten.«
    »Euer Glück!« Aruula schnaubte verächtlich. »Ich würde ihr sonst die Augen aus dem kahlen Schädel kratzen.«
    Matt schwieg verdrossen. Er hatte keine Lust, auf dieser Grundlage zu diskutieren.
    Als die Barbarin seinen Unmut sah, setzte sie zu einem breiten Grinsen an. »War doch bloß Spaß«, versicherte sie.
    »Ich habe nichts gegen Selina. Eigentlich finde ich sie sogar nett. Sie soll bloß die Finger von dir lassen!«
    »Gut, dann ist ja alles in Ordnung.«
    Ein sanftes Brummen untermalte seine letzten Worte. Die Magnetfelder, auf denen der EWAT schwebte, bauten sich langsam auf. Gleich nach dem Start fuhren die Kettenschuhe ein. Ein Manöver, das nicht mehr als ein sanftes Vibrieren auslöste. Lieutenant Shaw war ein guter Pilot. Eingebaute Trägheitsdämpfer, die leichte Schwankungen ausglichen, taten ein Übriges.
    Es ging in Richtung Lyon.
    ***
    Weite Teile der zerfallenen Stadt boten eines der stets wiederkehrenden Bilder dieser postapokalyptischen Welt. Dort waren Hochhäuser zu sehen, inzwischen nicht mehr als von Regen und Wind leer gespülte Ruinen, die wie Betonskelette in den Himmel ragten. Aber auch nach über fünfhundert Jahren, in denen die üppige Vegetation das verlorene Terrain langsam zurückerobert hatte, war nicht
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