Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
109 - Die Atemdiebin

109 - Die Atemdiebin

Titel: 109 - Die Atemdiebin
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
könnte.
    »Bestimmt eine Göttin, der hier gehuldigt wird.«
    Mit dieser Einschätzung lag Aruula vermutlich richtig. Und wenn Matt sich umsah, konnte er die Barbaren, die hier mit Hammer und Meißel gewirkt hatten, gut verstehen. Die ursprüngliche Natur des Rhone-Deltas regte selbst die Phantasie seines zivilisierten Geistes an. Umgeben von schroffen Felsen und saftigem Grün fiel es nicht schwer, an die Existenz von Waldgeistern, Nymphen und ähnlichen Sagengestalten zu glauben.
    Der Frühling machte sich allerorts bemerkbar. Junge Triebe sprossen an Bäumen und Sträuchern, dichtes Blätterwerk versperrte den Blick in die Tiefen der Wälder.
    Hier, zwischen Zentralmassiv und nördlichen Alpen, schien die Zeit seit alters her stillzustehen. So wie jetzt hatte es schon vor Jahrtausenden ausgesehen, als das Gebirge dem Druck der Rhone nachgeben musste und ihr ein breites Flussbett inmitten einer paradiesischen Landschaft gewährt hatte. Hinweise auf den Untergang der Menschheit suchte man vergeblich. Wen interessierte auch, was bereits fünfhundert Jahren zurück lag?
    Hier und jetzt gab es nur die steinerne Wächterin, die über Ruhe und Frieden des Plateaus gebot, von dem aus man eine gute Sicht auf die Rhone besaß.
    Matts Blick folgte dem knapp zwanzig Meter entfernten Wildbach, der die herabstürzenden Fälle in sein steinernes Bett aufnahm und über weitere Stufen ins Tal geleitete, um sie dort mit der Rhone zu vereinen. Ein stetes Rauschen untermalte die wilde Reise. Verkeilte Felsen sorgten für Engpässe, in denen der kalte Strom zu weißer Gischt aufwirbelte, bevor er wieder von den Klippen perlte und seinen Weg mit unverminderter Geschwindigkeit fortsetzte.
    Ergriffen von dem majestätischen Anblick, zog Matt seine Freundin näher an sich heran. Keiner sprach ein Wort, während sie beide, Wange an Wange, die Wärme des anderen spürten.
    Matt fühlte sich völlig eins mit der Natur. Im Gleichgewicht mit seinen Freunden und der ganzen Welt. Ein seltener Moment der Balance, den er in vollen Zügen genoss, bevor er zerstört werden würde. Zum Beispiel durch die Schritte einer Person, die sich vorsichtig näher schlich.
    »Tut mir Leid, wenn ich störe, Commander.« Corporal Andrew Farmer zog ein schuldbewusstes Gesicht. »Der Captain bat mich, Sie zu einer Besprechung zu rufen. Es gab Funkkontakt zu einer Bunkergemeinschaft in Lyon. Die Verantwortlichen haben uns zu einem Besuch eingeladen.«
    Aruula knurrte, als ob sie dem jungen Techno mit bloßen Händen das Herz herausreißen wollte. Zum Glück hatten die gemeinsamen Einsätzen ein Gefühl der Gemeinsamkeit erzeugt. Farmer und die übrigen Besatzungsmitglieder der Explorer waren längst mit Aruulas Eigenheiten vertraut.
    »Wir kommen gleich«, versprach Matt.
    Die Explorer, der britische Earth-Water-Air-Tank, mit dem sie derzeit durch Europa reisten, um weitere Bunkergemeinschaften für eine Allianz zu gewinnen, stand knapp fünfzig Meter entfernt, umgeben von einigen Schatten spendenden Bäumen. Sie waren hier oben gelandet, um ihre bevorstehende Ankunft nach Möglichkeit anzukündigen.
    Bisher hatte es noch nie Kontakt zwischen der Community London und den Bunkerkolonien Südfrankreichs gegeben. Ein allzu forsches Auftreten mochte schnell als feindlich eingestuft werden.
    Lieutenant Peter Shaw nutzte die Ruhepause in freier Natur gerade, um sich nahe des gelandeten Flugpanzers zu sonnen.
    Auf zwei ausgefahrenen Kettenbändern ruhend, machte das zwanzig Meter lange, nicht ganz drei Meter breite und zwei Meter fünfzig hohe viergliedrige Fahrzeug einen recht martialischen Eindruck. Sowohl über dem spitz zulaufenden Bug, als auch auf dem Dach des stumpfen Hecks wölbten sich schwarz getönte Sichtkuppel, die von außen nicht einsehbar waren.
    Seitlich des Fahrzeugs stand die Frachtschleuse offen, um frische Luft einzulassen. Noch vor einem halben Jahr undenkbar. Doch das Weltrat-Serum, das die Immunsysteme der Bunkermenschen stabilisierte, ermöglichte den Männern und Frauen der Explorer längst ein normales Leben. Mal abgesehen von dem Serumsbeutel unter ihrer Kleidung, der sie permanent mit der richtigen Dosis des Medikaments versorgte.
    Der Pilot winkte ihnen lässig zu, einen Grashalm im Mundwinkel, bevor er sich selbst zur Besprechung aufmachte.
    Nacheinander traten sie durch die offene Doppelschleuse ein und begaben sich in das Hecksegment, wo Captain McDuncan bereits auf sie wartete. Der Kopf der Kommandantin glänzte frisch geschoren, weil ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher