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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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zum Arbeitsamt und erst später in Halle 4.
    Ob ich jetzt ein oder zwei Stunden zu spät zur Schicht komme, macht den Braten auch nicht mehr fett. Die Hauptsache ist doch, dass der Braten für meinen verfressenen Meister fett genug ist.
    Wer weiß, vielleicht habe ich ja morgens mehr Glück mit einem Job. Ist eigentlich logisch, dass bis spätnachmittags die wenigen Arbeitsstellen, die es noch gibt, alle schon vergeben wurden.
    Morgenstund hat Job im Mund!
    Jobs sind doch heutzutage Gold wert.
    Am frühen Morgen sieht die Welt viel fröhlicher und optimistischer aus.
    Bei Allah, sogar der Pförtner grüßt mich heute ausgesprochen freundlich.
    Ich grüße zurück, ohne ihn anzublicken:
    »Guten Morgen.«
    Schließlich kann ich mich nicht mit dem Personal auf eine Stufe stellen.
    Bereits im Erdgeschoss kommt mir im linken Seitenflügel der Bürobote Schröder mit einigen Akten unter dem Arm entgegen.
    »Guten Morgen«, ruft auch er.
    Mit einem Lächeln antworte ich etwas freundlicher:
    »Guten Morgen, Herr Schröder.«
    Auf dem Weg zu meinem Stammplatz muss ich viele Treppen steigen, fast so viele wie der Muezzin im Minarett. Auf halbem Wege kommt mir Sachbearbeiter Hubert Meyer entgegen. Titel und Namen der Angestellten weiß ich, weil ich alle Namensschilder an den Türen im Arbeitsamt in den letzten Wochen auswendig gelernt habe. Wie immer ist der Meyer mit Akten bis zur Nasenspitze voll bepackt. Um die Treppenstufen vor sich zu erkennen, muss er den Hals fürchterlich strecken. Wenn er so weitermacht, sieht er bestimmt bald wie eine Giraffe aus.
    »Guten Morgen.«
    Welch Wunder, er hat mich sogar gesehen!
    »Guten Morgen«, murmle ich aus den Mundwinkeln heraus. Dass er keinerlei höhere Stellung innehat, kann man daran ablesen, dass er ständig arbeitet.
    Weil ich jeden Tag hier auftauche und türkischen Arbeitssuchenden zwangsläufig mit den Formularen helfe, denken einige Beamte bereits, ich sei hier angestellt. Sollen sie ruhig, ich habe nichts dagegen.
    Im Vorbeigehen ruft mir Hubert Meyer zu:
    »Der Hauptabteilungsleiter möchte Sie in seinem Büro im zweiten Stock sprechen.«
    »Mich?«
    Ich bin verwirrt. Was könnte der Hauptabteilungsleiter denn von mir wollen?
    Wahrscheinlich ärgern sich die Beamten, dass ich jeden Tag hierherkomme. Die haben aber auch durchaus Grund dazu. Wenn alle Arbeitslosen der Stadt jeden Tagdas Arbeitsamt betreten würden, gäbe es eine mittlere Katastrophe. Kein Gebäude der Stadt wäre diesem Ansturm gewachsen, außer vielleicht das Fußballstadion. Für die Bewältigung dieser Massen würde man jede Menge Beamte benötigen. Die wenigsten Beamten wären bereit, ihren Schreibtisch unter freiem Himmel, auf grünem Rasen, aufzubauen. Besonders wenn es regnet.
    Man kann es sehen, wie man will, die Leute vom Arbeitsamt haben ihre berechtigten Gründe, mich rauszuschmeißen.
    Schade, auch meine tolle rosa Blazerjacke mit den zwei Silberknöpfen, die grüne Bundfaltenhose mit Nadelstreifen und die herrliche blaue Krawatte mit den gelben Blümchen haben scheinbar nichts genützt.
    Ich klopfe an die Tür des Hauptabteilungsleiters und gehe hinein.
    »Ah, da sind Sie ja endlich«, ruft er und drückt mir einen Zettel in die Hand. »In spätestens zwei Stunden benötige ich eine Übersetzung dieses Schreibens.«
    Bei Allah, für wen hält der Mann mich? Ich bin doch kein Angestellter des Arbeitsamtes, ich sehe nur so aus!
    »Sie brauchen auch nicht bis in den Aufenthaltsraum im dritten Stock zu laufen, der Kollege Hoffmann ist heute krank, deshalb können Sie sein Büro drüben benutzen«, ruft er weiter.
    Mit der Akte in der Hand gehe ich verdattert ins Nebenzimmer.
    Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, mache ich gleich die Übersetzungen und liefere sie ab. Aber sofort reicht er mir ein neues Papier herüber:
    »Das bitte auch sofort übersetzen, Herr, öh … eh …, wie war doch noch gleich Ihr Name?«
    »Engin, Osman Engin. Aber ich habe keine Zeit, ich muss nach oben. Außerdem bin ich kein vereidigter Dolmetscher.«
    »Ach, Herr Engin, den Eid abzulegen ist doch reine Formsache, oder glauben Sie etwa, dass sich die Bundeskanzlerin noch an ihren Eid erinnert?«
    »Recht haben Sie, Herr Hauptabteilungsleiter.«
    »Herr Engin, der Kollege Hoffmann fällt vermutlich für längere Zeit aus. Ich schlage Ihnen vor, sich derweil dort einzuquartieren. Ich finde Ihren Arbeitsplatz im dritten Stock ohnehin etwas zu zugig. Und jetzt ein bisschen Beeilung, bitte. Ich brauche die Papiere für
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