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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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Betroffenheitsmiene wirklich super gelingen. Na ja, jahrelange Übung auf diesem Fachgebiet zahlt sich eben aus.
    »Chef, meinen Sie wirklich, dass ein Tritt in den Hintern bei den Kollegen als aufrichtiger Dank wahrgenommen wird?«, stelle ich ihn vor eine Gewissensfrage.
    »Öhm … öööh … na jaaa …«, stammelt er plötzlich.
    Seine reibungslose Kündigungsmaschinerie ist ins Stocken geraten! Ich glaube, ich hätte ihn doch nicht unterbrechen sollen. Jetzt wird er mir wohl erst recht kündigen!
    Das ist eine brillante Eigenschaft von mir: im falschen Moment am falschen Ort garantiert immer das vollkommen Falsche zu sagen!
    »Osman, was soll ich denn machen? Das Wohl der Firma lässt uns keine andere Möglichkeit. Die Globalisierung trifft uns alle hart! Wegen der Chinesen muss ich die Türken rausschmeißen. Ich persönlich werde dich jedenfalls sehr vermissen. Hier sind deine Papiere – und tschüss!«, findet er seine Sprache und seine Rolle wieder.
    »Wegen der Chinesen?«, frage ich irritiert. »Welcher chinesische Kollege hat mich denn verpetzt?«
    »Wir haben doch keinen Chinesen bei uns in Halle 4«, sagt er. »Ich meine doch wegen der Chinesen in China!Weil sie alles so supergünstig bauen, will niemand auf der Welt mehr die Sachen kaufen, die Osman baut.«
    »War ja klar, dass ein Mord nicht unbedingt Glück bringt«, murmle ich leise.
    »Mord? Was für’n Mord? Willst du mich etwa umbringen? Junge, das ist doch keine Lösung!« Er wird blass.
    »Die Bullen haben mich doch tagelang wegen Mordverdacht eingelocht! Deshalb habe ich Sie doch Montag aus Schwerte angerufen, dass ich nicht zur Arbeit kommen kann. Gestern haben die uns erst laufen lassen.«
    »Ich fass es nicht! Eingelocht wegen Mordverdacht? Was hast du denn ausgefressen?«
    In dem Moment fällt mir siedend heiß ein, dass mein Meister verrückt nach Geschichten ist! Nach allen Arten von Geschichten! Am meisten nach solchen mit Mord und Totschlag. Er ist dann wie hypnotisiert und vergisst alles, was um ihn herum geschieht. Wir haben schon des Öfteren die Pausen in Halle 4 um eine halbe Stunde, ja manchmal sogar um eine ganze Stunde überzogen, weil wir dabei einfach die Zeit vergessen haben – besser gesagt: er. Die Kumpels erzählen ja diese bescheuerten Mord-und-Totschlag-Geschichten genau aus dem Grund!
    »Los, Osman, nun erzähl schon, wer wurde denn gekillt? Du bist doch kein Mörder, oder?«
    Seine Stimme zittert, seine Augen flackern, er hofft auf die große Sensation, einem wahrhaftigen Mörder gegenüberzusitzen.
    »Ich werde verdächtigt, ein Mörder zu sein«, nuschle ich.
    »Was? Als was wirst du verdächtigt?« Er runzelt dieStirn, spitzt die Ohren und legt mein Kündigungsschreiben geistesabwesend vor sich hin auf den großen Schreibtisch – hält es aber immer noch krampfhaft mit seinen Wurstfingern fest!
    Das
ist meine Chance!
    »Möö…«, nuschele ich wieder ganz schön undeutlich.
    »Ich hab’s wieder nicht verstanden, als was?«, zappelt er bereits wie ein begriffsstutziger Fisch an meiner Angel.
    »Mööö…«
    »Waaas?«
    »Mööör…«
    »Mörder?«
    »Ja, Mörder!«
    »Ich fass es nicht! Das ist ein Ding!«
    »Ich meine, vielleicht werde ich als Mörder verdächtigt, vielleicht auch nicht. Jedenfalls konnte ich den Kommissar Lück nicht restlos von meiner Unschuld überzeugen. Es wird weiterhin gegen mich ermittelt.«
    »Mein Gott, nun erzähl doch endlich!«, brüllt er völlig ungeduldig.
    »Das tut mir leid, Herr Viehtreiber, aber in diesem Fall wird weiterhin von der Mordkommission ermittelt. Ich darf in der Öffentlichkeit nicht darüber reden.«
    »Mit mir musst du sogar darüber reden, ich bin dein Vorgesetzter! Es gibt eine unmittelbare Mitteilungspflicht, so steht das im Tarifvertrag, hier, schau, Seite 11, Paragraf 7c.«
    »Aber Sie haben mir doch gekündigt!«
    »Noch nicht«, ruft er und wedelt mit dem Kündigungsschreiben.
    »Aber in einen Mordfall verwickelt zu sein, ist kein Pappenstiel.«
    »Das will ich auch meinen. Los, spann mich nicht weiter auf die Folter – erzähl schon!«
    Wie ein Ertrinkender, der sich sogar an einer Giftschlange festklammern würde, klammere ich mich an das letzte Fünkchen Hoffnung, doch nicht gekündigt zu werden, und plappere drauflos:
    »Also, Herr Viehtreiber, in diesen unglaublichen Schlamassel hat mich meine Frau Eminanim letzten Freitag reingeritten! Sie wollte unbedingt übers Wochenende ihre Cousine in Frankfurt besuchen. Deshalb sind wir am Freitag
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