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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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erzähle sofort weiter«, beruhige ich ihn.
    »Ich wollte nur wissen, was es heute zum Nachtisch gibt.«
    Ist doch klar, dass ihn das Essen mehr interessiert als meine Geschichten – aber nur noch zwei Tage!!
    »Aber du kannst, während ich esse, ruhig weitererzählen«, schmatzt er gönnerhaft.
    »Herr Viehtreiber, gestern sagte ich ja, dass der Polizist ziemlich böse gebrüllt hat:
    ›Sie können doch hier nicht den ganzen Verkehr blockieren! Jetzt fahren Sie den Wagen endlich weg!‹, und ich ihm ganz kuul antwortete:
    ›Aber ich bin doch leicht betrunken, wie Sie eben vonmeinem Sohn gehört haben. Meine Frau würde mich killen, wenn ich in diesem Zustand Auto fahren würde.‹
    ›Nun fahren Sie schon endlich, ich werde ausnahmsweise beide Augen zudrücken‹, meinte der Polizist.
    Daraufhin stieg ich aus, setzte mich torkelnd auf den Fahrersitz und gab Gas.
    ›Mehmet, du kaltblütiger Gauner, so was Gerissenes hab ich ja lange nicht gesehen‹, rief ich nach hinten, und mir fielen regelrecht riesige Pyramiden vom Herzen.
    ›Vater, das ist doch nichts Neues. Wenn man angehalten wird, braucht man sich nur blitzschnell nach hinten zu setzen. So machen das doch alle‹, lachte Mehmet vergnügt.
    ›Und die armen Verkehrspolizisten kennen diesen Betrug immer noch nicht?‹, fragte ich überrascht.
    ›Schon, aber wenn man in die Fahrzeugpapiere auch noch einen 5 0-Euro -Schein reinlegt, dann funktioniert dieser Trick immer wieder perfekt!‹, meinte der Schlaumeier.«
    »So korrupt ist Deutschland schon? Das ist doch scheiße«, schimpft Viehtreiber.
    »Man kann es auch positiv sehen. Zum Beispiel als Beweis gelungener gegenseitiger Integration«, rufe ich, verschweige aber, dass mir diese Geschichte vor zwei Jahren in der Türkei passiert ist und nicht in Bremen.
    »Aber was hat das alles mit dem Mord zu tun?«, fällt ihm plötzlich ein.
    »Die Polizei suchte an dem Abend nach einem Mörder«, kontere ich sofort.
    »Ich meine doch mit der Mordstory, wo du auch verdächtigt wirst!«
    »Ach so, diese Story, wo ich auch verdächtigt werde, meinen Sie«, tue ich wieder völlig ahnungslos. »Herr Viehtreiber, Sie brauchen es ja nur zu sagen, und ich erzähle sofort. Hier, nehmen Sie, da ist eine saubere Serviette.
    Also dieses Jahr musste ich im Januar ganz alleine in die Türkei fliegen, um einen ehemaligen Kollegen zu besuchen. Unseren alten Kumpel Galatasaray-Tuncay müssten Sie doch auch noch kennen? Der hat bis vor drei Jahren drüben in Halle 2 in der Montagestraße D gearbeitet, dann hat er dieses fürchterliche Rheuma und was mit der Lunge bekommen und ist zurück in sein Dorf. Wissen Sie noch, jemand hatte vor sieben Jahren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion heimlich die ganze Halle 2 gelb-rot lackiert. Sie sind damals vor lauter Wut im Dreieck gesprungen. Jetzt kann ich es Ihnen ja verraten, das war mein Freund Tuncay. Dem geht’s leider nicht gut. Ich wollte ihn unbedingt noch einmal sehen, bevor er abkratzt. Wenn die Kumpels mit Berufskrankheiten in die Heimat zurückgehen, machen sie es nicht mehr lange. Deshalb habe ich ja im Januar Urlaub genommen und bin nach Kayseri geflogen. Hier, nehmen Sie noch etwas von den Auberginen …« Ich kann ihm doch unmöglich sagen, dass ich mitten im tiefsten Winter wegen eines total verrückten alten Kumpels in die Türkei geflogen bin, der nach einem gescheiterten Selbstmordversuch im Krankenhaus liegt, nur weil seine Fußballmannschaft ein albernes Pokalspiel verloren hat! Das würde kein gutes Licht auf mich werfen. Das mit der gelb-rot lackierten Halle hätte ich vielleicht auch nicht verraten sollen. Wer weiß, ob er es nicht noch gegen mich verwendet und die Unkostenerstattet haben will. »Wieder einmal war meine Frau Eminanim schlauer als ich und war mit den Kindern in Bremen geblieben. Sie hatte völlig recht, wer zu dieser grauenhaften Jahreszeit mitten im Winter freiwillig nach Anatolien fährt, darf hinterher auch nicht meckern. Nur so viel: Ich musste jeden Tag mehrere Male meine Schuhe putzen und meine Hosen waschen. Die Schlammspritzer bedeckten meinen Körper bis zum Hals. Selbst die vielen Schuhputzer, die im Sommer den armen Passanten die sauberen Plastiksandalen von den Füßen reißen, um sie noch sauberer zu machen, ließen sich nicht blicken. Auf richtig dreckige Schuhe hatten die auch keine Lust.
    Deshalb war ich heilfroh, dass ich zwei Wochen später, um 6:15 Uhr morgens, am Flughafen von Kayseri wieder in meinem Flieger nach Bremen saß.
    Herr
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