Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
Vom Netzwerk:
mich.
    »Papa, Papa, Papa«, kommt meine kleine Tochter Hatice in dem Moment panisch reingerannt und klammert sich am Wohnzimmertisch fest. »Papa, Papa, Mehmet hat gesagt, unsere Erde ist rund wie ein Ball und dreht sich andauernd wie ein Brummkreisel, stimmt denn das?«
    »Das stimmt, Hatice, aber für Mehmet dreht sich die Erde mit Sicherheit wesentlich schneller, weil er ständig besoffen ist!«
    »Wann geht’s denn los, Papa?«, ruft Hatice und klammert sich immer noch am Tisch fest.
    »Womit denn, Hatice?«
    »Wann dreht sich die Erde? Halt mich doch fest, Papa!«, kreischt Hatice richtig ängstlich mit riesengroßen Augen.
    »Aber Hatice, die Erde dreht sich doch schon.«
    »Wann?«
    »Jetzt!«
    »Jetzt?«
    »Ja! Aber du kannst den Tisch ruhig loslassen.«
    »Hilfeee, Papa! Im Karussell muss ich mich auch ganz doll festhalten! Sonst falle ich von der Erde runter!«
    »Keine Angst, Hatice, du fällst nicht runter. Die Erde zieht dich doch an.«
    »Waaas? Wie bei den Hobbits? Mamaaa!«
    »Hatice, hör doch auf! Gleich schimpft deine Mutter wieder mit mir, ich würde dir Angst machen.«
    »Mamaaa, die Erde dreht sich fürchterlich – ich will aussteigeeen!!«
    »Hatice, sei endlich leise, die Erde dreht sich doch schon seit deiner Geburt!«
    »Seit meiner Geburt? Du meinst, ich bin daran schuld, Papa?«
    »Nein, nein, es ist ganz bestimmt nicht deine Schuld, dass die Erde sich dreht! Es liegt an der Sonne. Eigentlich dreht sich die Erde auch schon ein bisschen länger! Aber dass die Erde sich dreht, das merken wir gar nicht. Also entspann dich …«
    »Gut, wenn das so ist, dann lege ich mich ein bisschen hin, Papa!«
    »Nix da, Hatice, du musst jetzt einkaufen gehen. Ich wusste, dass das alles ein Trick von dir ist, um nicht einzukaufen.«
    »Wieso Trick von mir, Papa? Du hast doch gesagt, die Sonne ist daran schuld!«
    »Hatice, deine Lehrerin kann dir das alles morgen noch mal in Ruhe erklären.«
    »Meinst du, sie weiß das, Papa?«
    »Klar, wenn sogar Mehmet das weiß.«
    »Ich bin aber froh, dass das alles nicht wegen mir ist, Papa«, atmet Hatice erleichtert auf und setzt sich ans Fenster.
    »Mein Kind, bitte, du musst nur drei Kilo Rinderhack bei Onkel Ali kaufen. Oder wartest du am Fenster auf deine Freundin Selma?«
    »Nein, Papa, ich warte auf den Laden von Onkel Ali! Wenn die Erde rund ist und sich wirklich dreht, wie du sagst, dann muss doch dieser Laden gleich hier vorbeikommen! Dann brauche ich diese drei Kilo Fleisch nicht mit mir rumzuschleppen.«
    In dem Moment kommt Mehmet mit einem sehr betrübtenGesichtsausdruck nach Hause und verkündet ziemlich böse:
    »Herzlichen Glückwunsch, liebe Eltern, ihr habt es wieder geschafft – Ingrid hat mich auch verlassen! Und Durchfall habe ich auch!«
    »Was ist denn schon wieder passiert, Mehmet? Was hast du diesem armen Mädchen denn angetan? Sie hatte sich doch so schnell bei uns integriert – wenigstens, was das Essen anging?«, fragte ich neugierig.
    »Ich habe ihr überhaupt nichts getan. Ich habe nur den Notarztwagen gerufen und die ganze Nacht neben ihrem Bett im Krankenhaus gesessen. Sie sagte zum Abschied genau das Gleiche wie alle meine Ex-Freundinnen vor ihr: ›Mehmet, was hat eigentlich deine Mutter gegen mich? Sie hat mich wie eine polnische Weihnachtsgans gemästet und dafür gesorgt, dass ich an einem einzigen Abend mehr als zehn Kilo zugenommen habe. Dabei weiß sie doch mit Sicherheit, dass du nur auf schlanke Frauen abfährst! Das hat keinen Sinn mit uns! Es ist doch ganz offensichtlich – deine Mutter mag mich nicht! Adiöö!‹«
    »Mehmet, spinn doch nicht rum! Mein Essen hat bisher jedem Gast geschmeckt! Wer weiß, was du diesem armen Mädchen wieder angetan hast!«, lässt Eminanim so eine unverschämte Verleumdung natürlich nicht auf sich sitzen.
    »Deine Mutter hat völlig recht, unser Essen hat noch nie jemandem geschadet«, stehe ich meiner Frau sofort bei und füge hinzu, »wer weiß, wie oft du sie betrogen hast, du Macho!«

Dienstag, 29. Juni
    Das beste Beispiel dafür, dass unser Essen noch niemandem geschadet hat, ist doch mein Chef!
    Der Mann stopft Eminanims Essen vor meinen Augen seit Wochen dermaßen in sich rein, dass ich schon immer überglücklich bin, wenn ich zumindest das Geschirr retten kann! Und diese ganze Fresserei zeigte bisher keine einzige Nebenwirkung! Wenn man natürlich von seinem Bauch absieht, der jeden Tag dicker und dicker wird.
    »Und?«, sagt er.
    »Sie können ruhig schon essen, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher