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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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den Kopf gehauen, dass alle Besucher einen Schreck bekommen.
    Am meisten natürlich der Mini-Rambo, der die volle Ladung auf den Hinterkopf geknallt bekommt.
    Der springt mit funkelnden Augen total wütend auf, um wem auch immer den Hals umzudrehen. Als er aber die kleine Hatice sieht, weiß er nicht, wie er auf diese peinliche Schmach reagieren soll.
    Kein Mensch im Kino schaut sich mehr den Film an – ich meine, nicht den auf der Leinwand.
    In dem Moment ruft Hatice seelenruhig:
    »Haben dir deine Eltern denn nicht beigebracht, dass man im Kino nicht reden darf?«
    Der bis auf die Knochen Blamierte zischt mit hochrotem Kopf:
    »Nicht, dass ich wüsste …«
    »Doch, es ist aber so, nicht wahr, Papa?«, ruft Hatice und reicht mir die Tüte rüber, damit sie ihr überall verstreutes Popkorn aufsammeln kann.
    Ich bin froh, dass sie mir die Tüte nicht direkt nach der Tat auf den Schoß gelegt hat! Im Gegensatz zu Hatice wäre ich vermutlich nicht mit dem Leben davongekommen.
    Eine Minute später steht der Junge wie ein geprügelter Hund auf und verlässt mit seiner Bande unter Applaus den Saal.
    »Toll, jetzt kann ich auch besser sehen«, freut sich meine Tochter leise.
    Ich werde jetzt nur noch mit Hatice ins Kino gehen – solange sie noch klein ist!
    Sie will ja auch überall nur mit mir hingehen, worauf ich sehr stolz bin.
    Letztens sagte sie sogar etwas, das mich wirklich zu Tränen rührte. So viel Umweltbewusstsein hätte ich ihr gar nicht zugetraut:
    »Papa, ich möchte nicht mehr, dass du mich mit dem Auto von der Schule abholst«, meinte sie. »Das ist mir sehr peinlich vor meinen Klassenkameraden. Bei einer so kurzen Strecke wird ja der Motor nicht mal richtig warm. Das ist die reinste Benzinverschwendung und eine sehr schlimme Umweltverschmutzung. Das kann ich nicht zulassen! Wenndu mir nicht glaubst, dann frag doch meinen Bruder Mehmet.«
    Es war mir eigentlich klar, dass mein kommunistischer Sohn Mehmet dahinterstecken musste. Und so lobenswert diese Eigenschaft von Hatice auch ist, trotzdem habe ich keine Lust, immer überallhin zu Fuß zu latschen!
    Vor allem, weil ein 2 0-Minuten -Weg mit Hatice zusammen zu Fuß länger als drei Stunden dauert.
    Völlig erschöpft werfe ich mich nach dem Kinobesuch daheim auf die Couch.
    »Eminanim, ich bin total kaputt! Mehmet hat einen sehr schlechten Einfluss auf unsere kleine Hatice. Es ist klar, dass wir den ewigen Studenten Mehmet niemals loswerden. Lass uns deshalb Hatice ins Internat schicken. Deutsche Eltern haben’s gut! Die können einfach zu ihrem Kind sagen: ›Mit dem und dem und dem darfst du in Zukunft nicht mehr spielen und nicht mehr reden! Fertig, aus!‹ Die haben ja alle auch höchstens ein Kind; wenn nicht nur ein halbes (laut Statistik). Aber ich kann doch Hatice schlecht verbieten, mit ihrem eigenen Bruder zu reden. Es wäre auch nicht klug. Mehmet würde sich dadurch erst recht angestachelt und provoziert fühlen.«
    »Osman, was ist denn passiert?«, fragt meine Frau neugierig.
    »Hatice möchte überallhin nur noch zu Fuß gehen. Nicht mal ins Kino konnte ich heute mit dem Wagen fahren.«
    »Aber Osman, das hat doch mit Mehmet überhaupt nichts zu tun. Der ist in diesem Fall völlig unschuldig. Diesen Trick hat Hatice sich ganz allein ausgedacht. Sagmir doch mal bitte, wo ihr schon wieder stundenlang wart?«
    »Also, wir waren erst mal im türkischen Laden neben dem Kino, da haben wir Helva und Kekse gekauft. Dann waren wir im Süßwarengeschäft drei Häuser weiter, wo sie sich Schokolade und alle möglichen Bonbons besorgt hat. Danach waren wir im Zoo, da hat sie eine halbe Stunde mit ihrem Lieblingspony geplaudert. Und dann habe ich ihr am Kiosk eine neue Händykarte gekauft. Ich bin völlig fertig!«
    »Ossi, genau deswegen will Hatice nicht, dass du sie mit dem Ford-Transit fährst. Zu Fuß kann sie dich problemlos in jeden Laden reinschleppen und dich für alles blechen lassen. Das Kind weiß doch, wenn es erst mal im Auto sitzt, wird nicht mal an den roten Ampeln angehalten!«

Dienstag, 15. Juni
    Als ich am nächsten Tag wieder bei meinem Meister zum Rapport erscheine, komme ich mir wie ein Hofnarr vor – wie ein Sultansflüsterer!
    Früher hatten die Sultane und Könige in Ermangelung von Fernsehen, Kino oder DVDs Hofnarren auf ihrer Gehaltsliste, von denen sie mit Geschichten und Schabernack unterhalten wurden. Wenn die Hofnarren nicht ganz zufriedenstellend arbeiteten, wurden sie ganz schnell von der Gehaltsliste auf die
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