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100 Stunden Todesangst

100 Stunden Todesangst

Titel: 100 Stunden Todesangst
Autoren: Stefan Wolf
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du
637 Mark auf deinem Sparbuch?“
    Tom
grinste. „Gehabt. Jetzt habe ich einen neuen Motorroller. In dem steckt jede
Mark. Ich bin völlig blank. Mütterchen Helga wird begeistert sein, wenn ich
Taschengeld-Vorschuß nehme bis nächsten November. Großzügig ist sie ja enorm.
Aber sie haßt es, wenn ich — statt Verantwortung zu buckeln, an derselben
rumschludere. Geschieht dir recht — wird sie sagen. Und hat leider recht.“
    Eine weiße
Strähne von Omas hochgestecktem Haar hatte sich selbständig gemacht. Sie wurde
eingefangen mit dem Kämmchen.
    „Ich werde
mich im Dorf umhören, Tom. Vielleicht hat jemand das Geld gefunden.“
    „Da habe
ich wenig Hoffnung — was den ehrlichen Finder betrifft. Aber das Brot, Oma, ist
phantastisch. Und das Pflaumenmus super. Ich schaff’ noch eins.“
    Diesmal
bediente er sich selbst. „Wie ist das nun mit deinem Besuch?“ fragte er.
    „Du kennst
meine Freundin noch nicht. Eugenie von Hauch. Wir sind zusammen zur Schule
gegangen und haben uns während des langen Lebens nicht aus den Augen verloren.
Eugenie trifft heute abend mit dem Zug ein: im Hauptbahnhof der Stadt. Leider
ist sie nicht ganz gesund. Herzleidend. Und außerdem ängstlich. Deshalb, Tom,
wollte ich dich bitten, Eugenie vom Zug abzuholen. Und im Taxi hierher zu
bringen. Sie braucht einen starken Mann für ihr Gepäck. Zwei Wochen wird sie
bleiben. Ich freue mich riesig. Natürlich könnte sie auch allein mit dem Taxi
herkommen. Aber zum einen, wie gesagt, ist sie ängstlich und ein bißchen
hilflos. Zum andern finde ich es viel netter, wenn sie am Bahnhof empfangen
wird. Ich kann’s leider nicht. Mein Knie macht wieder Schwierigkeiten. Du
könntest dann mit dem Taxi zurückfahren. Und verlierst nicht zuviel Zeit.“
    „Zeit habe
ich genug. Mache ich gern.“
    „Es ist
eine Freude, immer wieder festzustellen, wie hilfsbereit ihr seid: du und
Locke. Trotzdem muß ich mich jedesmal überwinden, wenn ich euch um etwas bitte.
Weil viele Jugendliche leider nicht sehr gefällig sind, hat man dann als alter
Mensch Hemmungen. Eigentlich wollte ich Georg Lehmann, den Einsiedler, bitten,
Eugenie abzuholen. Aber der alte Georg hat ja noch mehr Gebrechen als ich.“
    Tom kannte
den Alten, der ganz allein mit seinem Mischlingshund Alf auf einem entlegenen
Bauernhof lebte. In den Dörfern ringsum wurde er nur ,der Einsiedler“ genannt.
    „Geht’s ihm
nicht gut?“ fragte Tom.
    „Naja. Er
wird nicht jünger. Zu mir hat er neulich gesagt, daß er und Alf sich im Alter
immer mehr ähneln. Sie haben sogar die gleichen Wehwehchen. Alf ist jetzt
zwölf.“
    „Kümmert
sich seine Tochter Julia um Lehmann?“
    „Ganz
rührend sogar. Aber sie hat einen Freund, mit dem sie zusammenlebt. Außerdem
arbeitet sie als Bankkauffrau. Da bleibt nicht viel Zeit für den Vater.“
    Tom
lächelte verschmitzt. „Also, Oma, deine Musbrote haben mich regelrecht
aufgerichtet. Mir geht’s schon viel besser. Ein Brot esse ich noch. Dann zische
ich los. Will Locke noch treffen. Daß ich’s nicht vergesse: Mit welchem Zug
kommt Eugenie von Hauch?“
    „Mit dem
Intercity um 21.05 Uhr.“
    Während
sich Tom die nächste Portion gesunder Alternativ-Kost reinzog, verließ Oma das
Wohnzimmer.
    Es dauerte
eine Weile, bis sie zurückkam.
    Tom hatte
sich bereits die Mundwinkel geleckt.
    „So, das
wäre es.“
    Sie legte
einen verschlossenen Briefumschlag auf den Tisch.
    „21.05
Uhr“, sagte Tom. „Das merke ich mir. Hättest du nicht aufzuschreiben brauchen.“
    „Habe ich
auch nicht. In dem Umschlag ist das Geld.“
    „Was für...
o nein! Kommt nicht in Frage, Oma! Auf gar keinen Fall.“
    „Ruhe!“
gebot sie. Und ihre liebevollen Augen blinzelten hinter den Brillengläsern.
„Ich könnte deine Großmutter sein, Engelbert Conradi. Und wenn mein Sohn Gunter
deine liebe Mutter heiratet, dann bin ich’s auch. Großmüttern widerspricht man
nicht.“
    Völlig
verdattert schüttelte Tom den Kopf. „Unmöglich, Oma! Das geht nicht. Du hast
nur deine Rente und keine Millionen im Sparstrumpf. Ich versaubeutele das Geld.
Also stehe ich dafür ein und...“
    „...nimmst
dieses hier von mir. Es sind genau 637,80 Mark. Ich hatte es passend. Und
aufgerundet habe ich nicht, denn Schusseligkeit muß nicht noch belohnt werden.
Andererseits kann jedem passieren, was dir passiert ist. Wenn das Geld im
Frühjahr zur Schneeschmelze auftaucht, ist es nur noch Papierbrei — und die
Münzen sind verrostet. Das müssen wir also abschreiben. An den
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