Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0968 - Die Greise von Eden

0968 - Die Greise von Eden

Titel: 0968 - Die Greise von Eden
Autoren: Adrian Doyle
Vom Netzwerk:
verschwunden war, schienen den gesunden Menschenverstand zu verhöhnen. Aber das tat das spezielle Attribut, an dem jeder männliche Nachkomme ihrer Familie litt, ebenfalls.
    Es spottete jeder Beschreibung.
    Bayan versuchte zu verdrängen, unter welchen Umständen er und seine Brüder aufgewachsen waren. Ihr verwandtschaftliches Umfeld hatte geholfen, das uralte Familiengeheimnis zu wahren.
    »Aber wir alle ahnen es - oder?«, mischte sich Zalay ein. »Machen wir uns nichts vor. Wir wurden nicht umsonst verständigt. Es ist passiert .«
    Minuten später standen sie vor dem endgültigen Beweis, dass der Schrecken wieder erwacht war, der diesen Ort vor siebenhundert Jahren schon einmal heimgesucht hatte. Damals hatten der Mut und Einfallsreichtum eines einzelnen Mannes - ihr Vorfahre - Land und Leute vor Schlimmerem bewahrt. Siebenhundert Jahre hatten sich die Nachkommen besagten Retters in trügerischer Hoffnung wiegen dürfen.
    Nun aber, angekommen vor dem Loch, aus dem das Böse entschlüpft war, gab es nicht mehr den leisesten Zweifel.
    »Der Geflügelte ist zurück«, flüsterte Bayan Saleh, wie versteinert in Mimik und Herzen. »Und er weiß offenbar, wo wir zu finden sind. Warum hat er dann nicht mich büßen lassen - warum meinen Sohn?«
    Die Brüder rückten enger zusammen.
    Niemand störte sie.
    Angeborene Autorität haftete ihnen an.
    Bayan straffte sich. »Gehen wir«, wandte er sich an seine Brüder.
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    »Nach Hause? Aber Rami! Wir müssen ihn -«
    Bayan unterbrach Zalay. »Wir müssen ihn nicht suchen. Er wird sich bei uns melden.«
    »Wie kannst du dir dessen so sicher sein?«
    »Weil ich ahne«, erwiderte Bayan, »wie das Lösegeld beschaffen ist, das er von mir - von uns!… verlangen wird.« Um ihnen einen Hinweis zu geben, was er meinte, hob er seine behandschuhte Faust, die eine solche Hitze und Glut ausstrahlte, dass es sonnenhell an den Rändern hervorbrach.
    Seine Brüder stöhnten heiser auf.
    Dann verließen sie den Ort, an dem das Böse lange - aber bei Weitem nicht lange genug - begraben gewesen war.
    2.
    Nebel über der Themse, Nebel in London - wann hätte eine solche Schlagzeile je auch nur einen Menschen hinter dem Ofen hervor gelockt?
    So ändern sich die Zeiten , dachte Paul Hogarth, dessen Leben - ebenso wie das Millionen anderer - im Zuge genau dieses »Nebelfalls« eine dramatische Wendung erfahren hatte.
    Weil ich mehr weiß als all die Staunenden und Schockierten, die London als Opfer eines nicht nuklearen Super-GAUs sehen, den gewissenlose Konzerne oder nicht minder skrupellose Regierungskreise zu verantworten haben.
    Fakt für den »Normalo« war: Die britische Metropole, nicht nur national Dreh- und Angelpunkt in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, war von einem Tag auf den anderen hinter etwas verschwunden, das nur für den Betrachter von außerhalb wie eine riesige Nebelballung aussehen mochte. Für diejenigen, die es nicht rechtzeitig aus der Stadt heraus geschafft hatten, bot sich ein gänzlich anderes Bild.
    Horror pur.
    Denn Kräfte, die jenseits von Hogarths Vorstellungsvermögen lagen, hatten die Millionenstadt für sich erobert und ihr ein Gesicht verliehen, das aus einem Endzeitstreifen entliehen schien.
    Paul seufzte. Er hatte nur die Anfänge der Transformation mitbekommen. War sogar kurzzeitig von irgendeiner Bestie dämonischen Ursprungs getötet worden. Hätten Nele Großkreutz und Zamorra nicht goldrichtig und schnell reagiert, hätte er alles Weitere gar nicht mehr mitbekommen.
    Man könnte auch sagen: Es wäre mir erspart geblieben.
    Entgegen dieses Gedankens bedauerte er sein Weiter- und Überleben nicht wirklich. Im Gegenteil. Er betrachtete es als unfassbares Geschenk, das ohne Magie niemals realisierbar gewesen wäre.
    Magie.
    Noch heute, Monate nach den einschneidenden Geschehnissen, gab es Momente, in denen er sich fragte, ob er nicht nur in irgendeiner Klapse vor sich hin vegetierte und all dies nur träumte.
    Oder, noch bizarrer, ob er nicht tatsächlich gestorben war und das, was er als reale Welt wahrzunehmen glaubte, nur ein Konstrukt seiner unsterblichen Seele war. Er hatte einmal von der Theorie gelesen, dass jeder Mensch sein eigenes Jenseits mit Eintritt des Todes betrat - keine gemeinschaftliche Sphäre, in der sich die Geister aller jemals gelebten Menschen versammelten und in der Lage waren, mit ihresgleichen in Verbindung zu treten, sondern eine »Welt«, die sich jeder Sterbende unbewusst selbst erschuf und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher