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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut
Autoren: Simon Borner
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Haaren, seinem Leib lechzten.
    Warum? Das war die Frage, die ihn umtrieb. Welchen Hintergrund hatte der Zorn des »Schlafenden«, wie Chagnaud die Präsenz genannt hatte? Seine Arbeiter hatten sie vor etwas mehr als einem Jahrhundert aufgescheucht - und seitdem hatten der ehemalige Architekt und seine wenigen verbliebenen Vertrauten ihre Leben der Aufgabe verschrieben gehabt, den Fehler von einst wieder gut zu machen. Einen Ausgleich zu bewirken. Mehr als ein Patt war Chagnaud jedoch nie gelungen. Hatte Zamorra mehr Glück?
    Gedanken wurden zu Schritten, Ideen zu Sieben-Meilen-Stiefeln, als der Dämonenjäger seinen magischen Vorstoß wagte. Geistige Barrieren brachen, brachten voran, schufen Kontakt!
    Und der Meister des Übersinnlichen spürte, wie sein Körper, sein Geist, sein gesamtes Wesen gegen eine mentale Wand geschleudert wurde. Eine Wand aus Hass!
    »Zamorra!« Dylans panischer Ruf drang wie aus weiter Ferne zu ihm durch. »Zamorra, nicht!«
    Schmerz. Überall. Blendend, packend, zerstörend. Zamorra war, als rissen Urkräfte an allen Seiten seines Leibes und seines Verstandes, zögen ihn hierhin und dorthin und zerrten an seinem innersten Selbst.
    Ich. Komme. In. Frieden.
    Gedanken, so schwach und bemüht wie das Licht einer Kerze in stürmischer Nacht.
    Ich. Will. Verstehen.
    Nichts. Weiter.
    Doch da war nichts zu verstehen. Die Präsenz jenseits der Schwelle, an die er mittels seines Geistes und seines magischen Geschicks gelangt war, entzog sich allem, was er als nachvollziehbare Logik betrachten konnte. Dies, was immer es war, überstieg menschliche Maßstäbe, hielt sich nicht an Kausalitäten. Das machte es so mächtig: seine Irrationalität.
    Zamorra spürte seine Kräfte schwinden. Sie waren Sand im oberen Bereich einer Sanduhr, doch genau wie der Strandgänger den Sand zwischen seinen Fingern nicht halten konnte, entglitten auch dem Professor seine Energiereserven, Stück für Stück. Sekündlich.
    Er krümmte sich. Knallte mit den Knien hart auf den Boden. Warf den Kopf zurück.
    Und…
    Ein unmenschlicher Schrei der Qual und der Wut, lauter als das Tosen aller Vulkane dies- und jenseits der Schwefelklüfte, erfüllte die Metro-Station, hallte von den Wänden wider und ließ sie erzittern. Gleise bebten, Glas klirrte, elektrische Verbindungen brannten durch und explodierten in glühenden Feuerbällen.
    Es war Zamorra, der den Schrei ausstieß.
    Und als er verklang, brach der Meister des Übersinnlichen zusammen, als hätte ihn ein Schuss genau ins Herz getroffen.
    ***
    Nichts als Wut. Unbändige, zügellose Wut, lodernd wie die ewigen Feuer der Hölle.
    Das allein hatte Zamorra gespürt, als sich sein Geist mit dem des »Schlafenden«, verband. Und die Erinnerung an diese mentale Begegnung saß ihm noch immer in den Knochen.
    »Da ist nichts«, berichtete er mühsam und kam wieder auf die Beine. Das Chaos, das die Station in seinen Klauen hatte, tobte ungehindert weiter. »Nichts, was Verständnis nahe käme. Es ist wie…«
    »Eine Naturgewalt«, ergänzte Rhett, als er nicht weitersprach. »Wie ein Taifun oder ein Erdbeben. Die kann man auch nicht stoppen.« Hinter ihm verging eine weitere Deckenlampe in einem gleißend hellen Ball aus Licht und Trümmern.
    Zamorra nickte. Die Worte des Erbfolgers hallten in seinem Kopf nach. Kann man nicht stoppen. War dieser Kampf etwa schon verloren, bevor er richtig begann? Und wenn, was wurde aus der Cité? Wie weit würde der Hunger dieser Wut unter der Stadtinsel gehen?
    Applaus brandete auf und riss ihn aus seinen sorgenvollen Gedanken. Als er sich umwandte, sah er Anne aus der nachtschwarzen Tunnelöffnung treten. Wie selbstverständlich schritt sie über die Gleisschwellen, den Blick auf ihn und seine Begleiter geheftet. Irgendwo keuchte Thierry überrascht auf.
    »Netter Versuch, Dämonenjäger«, sagte Anne statt einer Begrüßung und neigte den Kopf in einer spöttischen Nachahmung eines Kompliments. »Aber jetzt ist Schluss mit den Versuchen.«
    Und der Kampf begann erneut.
    Wie schon in Chagnauds Versteck hob die zur Furie gewordene dunkle Hälfte Anka Crentz' die Arme, schloss die Augen - und beschwor eine Armee von blendend hellen Energieblitzen, die aus ihren Fingern schossen und alles vernichteten, was in ihren Weg geriet. Wind kam auf, zerrte an Haaren und Kleidung, ließ Flammen tanzen. Plan- und ziellos surrten die magischen Entladungen durch die enge Metro-Station. Sie schlugen Kerben in Bänke, Fahrkartenautomaten und Mülleimer,
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