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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut
Autoren: Simon Borner
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Zamorra drängten sich an seine Seite - und rissen verblüfft die Augen auf. Die Flüssigkeit im Wanneninneren waberte. Strudel bildeten sich, Schemen tanzten unter ihrer Oberfläche. Dann formte sich ein Bild aus dem wirren Treiben. Es zeigte das Innere der Station Cité. So detailliert und real wie der Monitor der Überwachungskameras in Desjardins kleinem Büro.
    »Ist das… jetzt?«, fragte Kathryne leise.
    Rhett nickte. »Denke schon, ja. Sieh dir nur die Zerstörungsspuren an, die menschenleeren Bahnsteige… Leute, wir haben hier eine Direktverbindung zur Stadtinsel.«
    »Und somit einen ersten Puzzlestein«, murmelte der smarte Mittzwanziger. »Wo steckt Nummer zwei?«
    »Vielleicht hier«, antwortete Zamorra und deutete auf ein Emblem in der hinteren Zimmerwand. Es handelte sich um ein Oval, in dem zwei parallele, geschwungene rote Linien von links nach rechts zogen. Unter ihnen stand in großen Lettern ein Firmenname: CHAGNAUD CONSTRUCTIONS.
    »Léon Chagnaud«, sagte Kathryne leise. Desjardins Hinweisen folgend, hatte sie sich auf dem Hinweg ein wenig über das Zeichen informiert. Nun konnte sie ihr Wissen weitergeben. »Der Mann, der vor exakt hundert Jahren die Île de la Cité ans Pariser Metro-Netz anschloss und dafür die Seine untertunneln ließ. Das ist das Logo seiner Firma, die heute noch existiert - wenngleich natürlich nicht mit ihm an der Spitze. Chagnaud starb 1930 im Alter von sechsundsiebzig Lenzen.«
    »All das mit nur einem iPhone«, sagte Dylan anerkennend. »Ich glaub, ich brauche auch so ein Ding. Oder kannst du mir vielleicht eines von diesen schicken TI Alphas besorgen, Zamorra?«
    Der Dämonenjäger ging nicht darauf ein. »Erst Anne, dann diese… eigenartige Präsenz unter der Cité, nun die Verbindung zu Chagnaud.« Zamorra kratzte sich am Kopf. »Ist das das fehlende Glied in der Kette? Hat Gastons Versteck hier etwas mit den Konstrukteuren der Cité zu tun - und wenn, wissen sie, was dort lauert?«
    Ein lautes Ächzen erklang und ließ die vier Para-Forscher zusammenzucken.
    »Dort! In den Schatten!« Kathryne streckte den Arm aus und registrierte amüsiert, wie sich Rhett schützend vor sie drängte.
    Im Dunkel einer der Ecken des Raumes, die sie bisher nicht untersucht hatten, regte sich etwas. Mühsam erkannten sie Bewegungen, Gliedmaße, hörten die schwachen, pfeifenden Atemzüge eines Wesens.
    »Da ist jemand!« Sofort eilte Dylan vor, beugte sich neben die Gestalt. Auch seine Begleiter traten näher.
    Nun erst nahmen sie die schmale Chaiselongue wahr, die dort wie an die Wand geschmiegt stand - und den Mann, der auf ihr vor sich hinvegetierte. Er sah aus, als wäre er mindestens hundert. Altersflecken übersäten fast jede sichtbare Stelle seiner Haut, seine Augen waren so milchig, dass er längst blind sein musste, und das bisschen Haar, das ihm geblieben war, hatte den Namen nicht verdient.
    »Zamorra«, keuchte der Alte, hob einen gebrechlichen, dünnen Arm aus den Decken, in denen er lag, und griff nach dem Meister des Übersinnlichen. »Zamorra!«
    ***
    »Mein Name ist…«
    Kathryne nahm das feuchte Tuch, strich ihm sanft über die fiebrig heiße Stirn. »Ruhig, hören Sie? Nicht sprechen. Sie sind krank.«
    Der Alte wischte ihre Hand mit einer Bewegung fort, die keinerlei Widerspruch duldete. »Mein Name«, begann er erneut, jedes Wort ein Sieg über das Siechtum, »ist Léon Chagnaud. Ich bin der Erbauer des Seine-Tunnels.«
    »Und das fehlende Glied in der Kette«, murmelte Dylan und hob anerkennend die Brauen. »O Kacke, Mann. Ich dachte, Sie seien seit achtzig Jahren tot.«
    »Das glaubt die Welt«, erwiderte der Mann zittrig. »Ich ließ es sie glauben. Doch in Wahrheit altere ich seit 1908 nur sehr, sehr langsam. Seit ich… ihm begegnete.«
    Mit wenigen Worten umschrieb Chagnaud, der ganz offensichtlich auf Zamorra gewartet hatte, wenngleich der Professor sich dessen nicht bewusst gewesen war, seinen Besuchern die Geschichte seines Lebens. Er erzählte von den Jahren zwischen 1908 und 1910, in denen er dem Auftrag nachging, die Île de la Cité ans Metro-Netz der Stadt anzuschließen. Und von der Energie, die seine Arbeiter eines Tages unter dem Fluss fanden. Dem Bösen.
    »Sie warnten mich davor, weiter zu graben. Sie sagten, irgendetwas schlafe dort. Etwas, das aufzuwecken ein riesiger Fehler sei. Und wenngleich sie es nicht benennen oder beweisen konnten, spürten sie es mit jeder Faser ihres Seins. Sie träumten davon, wurden in ihren Taten und
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