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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut
Autoren: Simon Borner
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einem tosenden Knall, der Kathryne durch Mark und Bein ging. Reflexartig wirbelte sie herum, starrte auf das gut einen Meter durchmessende Loch im holzverkleideten Mauerwerk - und auf die Frau, die durch dieses trat, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt.
    Die Frau, die aussah wie sie.
    »Anne!«
    Staub, zermahlenes Gestein und Splitter regneten durch die Luft. Strahlen der untergehenden Sonne - in der Dämmerung von Chagnauds Zimmer so hell wie im Zentrum eines Vulkans - fielen hinein und blendeten Kathryne. Sie hob den Arm, schirmte die Augen gegen das Licht ab und glaubte doch nicht, was sie sah.
    Diese Kraft. Diese Energie.
    Diese Wut.
    »Ich habe euch doch gesagt, dass ich wiederkomme«, zischte die Doppelgängerin, ihre dunkle Schwester. »Ta-daa!«
    Im Nu waren Zamorra, Rhett und Dylan herbei. Kathryne sah, wie der Professor in die Jacketttasche griff, vermutlich auf der Suche nach einem Dhyarra, wenn schon Merlins Stern nicht von selbst auf die Bedrohung reagierte und ein Angriff mit ihm wenig Sinn ergab. Der Sternstein konnte nichts gegen Anne ausrichten. Zumindest nicht gegen diese Anne. »Was ist mit dir geschehen?«, flüsterte sie fassungslos.
    Die fremde Frau mit ihrem Gesicht hob die Arme, schloss die Augen - und auf einmal waren die Blitze da. Lodernd weiße Strahlen aus konzentrierter Energie schossen aus ihren Fingerspitzen, zickzackten ungestüm und unkontrolliert durch den Raum. Wo immer sie einschlugen, stand sofort alles in Flammen.
    Ozongeruch in der Luft. Folianten, die lichterloh brannten, stürzten von ihren Regalbrettern, Gläser aus den Vitrinen. Einrichtung, seit Dekaden unberührt und scheinbar von der Zeit selbst vergessen, ging den Weg alles Irdischen.
    Plötzlich erschien ein blaues Licht inmitten der Blitze. Zamorra!
    Der Meister des Übersinnlichen hielt sich nicht lange mit Argumenten auf. Die Begegnung auf dem Boulevard hatte ihm gezeigt, wo seine Grenzen im Kampf mit Anne lagen. Nun schien er kein Risiko mehr eingehen zu wollen.
    Und wie damals - versagte seine Macht!
    Kathryne sah sein schmerzverzerrtes, konzentriertes Gesicht, spürte seine Anstrengung nahezu körperlich. Zu wenig, Dämonenjäger. Was immer sie nährt, es ist dir überlegen. Uns überlegen!
    Nein, es gab nur einen Weg, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.
    »Anne.«
    Ihre Stimme trug. Unnatürlich laut schnitt sie durch das tosende Inferno. Und die dunkle Schwester öffnete die Augen.
    »Spar dir deinen Atem«, sagte Anne knurrend. »Du wirst ihn noch brauchen, wenn du neben deinem Herzblatt verblutest.«
    Rhett zögerte nicht lange. Mit einem Schrei der Entrüstung stürmte der Erbfolger vor und auf die Gegnerin zu. Es kostete Anne kaum ein Blinzeln, ihn in seine Schranken zu verweisen. Rücklings krachte der junge Mann gegen die Wand, getroffen von einer Energiewelle, die er nicht hatte kommen sehen. Dylan kniete sich neben ihn, kümmerte sich um ihn.
    »Zamorra.«
    Das war Chagnaud. Kathryne hörte sein Krächzen und sah, wie der Mann, der doch toter als tot wirkte, sich mit einem Mal auf seinem Lager aufstützte, den Oberkörper hob und dem Professor zuwinkte.
    Zamorra duckte sich unter Annes Blitzen hinweg und eilte zu ihm. »Wenn Sie noch einen Trumpf im Ärmel haben, Monsieur, wäre jetzt der ideale Moment, ihn auszuspielen.«
    Statt einer Erwiderung ergriff der Alte die Hand des Dämonenjägers - die linke, denn mit rechts hielt dieser noch immer den magischen Sternstein -, schloss die Augen und begann, leise vor sich hinzumurmeln.
    Natürlich , schoss es Kathryne durch den Kopf. Wie sonst sollte er all die Jahrzehnte überdauert haben. Und erst die Wanne! Die ganze Bude war voll von magischen Gegenständen und Beweisen. Chagnaud musste wirklich hervorragend recherchiert haben, um dem entgegenzutreten, was er Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts aufgeschreckt hatte. Er war selbst ein Magier geworden!
    Zamorra verstand sofort. Gemeinsam konzentrierten sich die ungleichen und doch so ähnlichen Männer, warfen der dunklen Anne alles entgegen, was sie an Kraft und Willensstärke aufzubringen imstande waren. Der Dhyarra in Zamorras Hand pulsierte förmlich, ein blaues, schlagendes Herz.
    Luft flimmerte. Wände schienen sich zu biegen, Winkel dehnten sich ins Unermessliche, verloren jeden Bezug zu Euklids Lehren. Kathryne spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten und ihre Arme, Beine, ja, selbst die Zähne in ihrem Mund leicht vibrierten - so sehr packte sie die Energie, riss sie der
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