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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut
Autoren: Simon Borner
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magische Kampf, der vor ihren weit aufgerissenen Augen stattfand, mit sich.
    Anne! , dachte sie. Voller Sorge. Voller Leid. So muss es nicht enden, Anne.
    Wenn sie nur zu ihr käme, sich wieder mit ihr vereinigte. Aber so, derart zur Furie mutiert, war es Kathryne schlicht unmöglich, die Gefährtin wieder an sich zu binden. Sie zu kontrollieren.
    Noch immer schlugen die Blitze durch den Raum, brannte das Holz, brannten die Bücher, selbst der Fußboden. Die Hölle schien ihre Tore geöffnet zu haben, um ihnen allen ein feuriges Grab zu bereiten - und inmitten dieses Chaos traf Kathrynes Blick auf den der dunklen Schwester.
    Anne stand da, das Gesicht zu einer Fratze äußerster Konzentration verzogen, und starrte sie an. Ruhig, wissend, nahezu amüsiert. Eine einzige, kostbare, erbarmungslose Sekunde lang. Dann - und Kathryne wusste, wie absurd der Gedanke war, doch so nahm sie es nun einmal wahr - neigte Anne den Kopf, als wolle sie der besseren Hälfte von Anka Crentz zunicken, grinste - und verschwand.
    Von einem Augenblick auf den anderen war es vorbei. Anne war fort, aufgelöst als hätte es sie nie gegeben, und nur die Zerstörung, die sie hinterlassen hatte, gab noch Zeugnis von ihrer einstigen Anwesenheit.
    Sie, und die Menschen, die sie erlebt, sie überlebt hatten.
    Als Kathryne sich umwandte, sah sie nur noch, wie Léon Chagnaud, der Magierautodidakt, der all seine Kraft in den Ring geworfen hatte, um aufzuhalten, was er einst indirekt miterschuf, seinen letzten, röchelnden Atemzug tat. Er hatte Anne vertrieben.
    Und nun starb er in Zamorras Armen.
    Kapitel 10 - Mit geballten Fäusten
    Statisches Rauschen.
    Dann: »Sieben, hier ist die Sieben. Sechs, hier ist die Sechs…«
    Die Stimme, die aus den Lautsprechern auf dem Bahnsteig von Cité drang, klang amüsiert, während sie ihren irrsinnigen, grundlosen Countdown erklingen ließ. Das wütende, brachiale Geheul in ihrem Hintergrund aber erinnerte an die Schluchten der Hölle, in denen die Seelen der Verlorenen einer Ewigkeit der Qual und des Leids entgegensahen. Es hörte sich an, wie das Wehklagen aus Tausenden von Kehlen.
    Und nichts davon durfte sein.
    »Ich… verstehe das nicht.« Emmeline Forneaux, Repräsentantin der RATP, schluckte. Ihre Hände umklammerten den Saum ihres modischen Blazers, als könne ihr das Kleidungsstück die Realität wiedergeben, die ihr der Anblick verweigerte. Als sei es ein Anker.
    »Dann geht's Ihnen wie mir, Chefin«, grunzte Thierry Desjardins. Der stämmige Stationsaufseher stand gleich neben der wie verloren aussehenden jungen Vorgesetzten und in der Mitte des Bahnsteigs, den er besser kannte, als jeder andere Mensch auf Erden. Nie zuvor hatte er sich irgendwo so fremd gefühlt. So - unwillkommen.
    Das Licht flackerte. Die wenigen Jugendstil-Lampen, die das Chaos bisher überlebt hatten, tauchten die Station in ein willkürlich scheinendes, unkontrolliertes Spiel aus Hell und Dunkel. Die schief hängenden Anzeigetafeln über dem Bahnsteig sprühten Funken und zischten brutzelnd, während ein Schaltkreis nach dem anderen unter der Wucht der energetischen Entladungen verging. Doch trotzdem sie eigentlich nicht dazu in der Lage waren, zeigten sie stetig neue Nachrichten an. Eine obszöner und abstoßender als die andere. Genau wie die bizarren Lautsprecherdurchsagen stammten sie nicht von Thierry, nicht von der RATP. Was hier geschah, ging nicht auf Menschenhand zurück.
    »Sp-spüren Sie das auch?«, stotterte Emmeline mit schwacher, weinerlicher Kleinmädchenstimme. »Dieses…«
    Thierry nickte. Auch ihm fehlten die Worte, um zu beschreiben, was sein Instinkt ihm mitzuteilen versuchte. Denn es gab solche Worte nicht, konnte sie nicht geben, in keiner Sprache dieser Welt. Einerseits war es ein Gefühl unbändigen, hungrigen Hasses, der ihm aus jeder Ecke und jedem Winkel der Metro-Station entgegenschlug, andererseits aber auch eine absurde Überzeugung, sich allen Gesetzen der Logik und dem Anschein zum Trotz längst nicht mehr in selbiger zu befinden. Sondern… im Irgendwo. Vergessen, verloren.
    Vernichtet.
    Als er den Kopf drehte, fiel sein Blick auf die Überwachungskamera, die die Morde aufgezeichnet hatte. Mit ihr hatte alles angefangen, vor Tagen, die nun wie Ewigkeiten schienen. Mittlerweile kam ihm das Gerät vor wie das Auge eines Raubtiers, das seine Beute betrachtete und sondierte. Und auf den richtigen Moment wartete, um aus dem Dickicht zu springen - mit geöffnetem Maul und blitzenden,
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