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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut
Autoren: Simon Borner
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Gedanken davon beeinflusst - zum Negativen. Manche flohen, manche blieben, aber viele, viele von ihnen endeten im Wahnsinn.« Chagnaud schluckte trocken. Es kostete ihn Mühe und Überwindung, dieses späte Geständnis abzulegen, doch er musste es tun. Nur so hatte alles noch einen Sinn. »Doch ich war jung und idealistisch. Ich wollte den Ruhm, das Geld, das Prestige. Ich glaubte nicht an Ammenmärchen. Ich ließ weitergraben. Und so - erweckten wir den Schlafenden!«
    Zamorra nickte. »Die Präsenz unter der Cité. Das Böse, das wir dort spürten. Das Annes Kraft und Annes Zorn potenzierte, Desjardins Technik sabotiert und die Pariser dazu verleitet, instinktiv einen Bogen um diese Haltestelle zu machen.«
    »Ich weiß bis heute nicht, was es ist, Zamorra«, fuhr der Alte fort. »Aber das ist auch nicht wichtig. Entscheidend ist, dass es schlafen muss. Wenn nicht, sind wir alle verloren.« Seine zweigdünnen Finger deuteten auf den Folianten mit den ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, aus denen Rhett eben vorgelesen hatte. »Jeder Versuch, es zu vernichten, schlug fehl. Und glauben Sie mir, ich habe es versucht. Ich habe Hebel in Bewegung gesetzt und Pakte geschlossen, die Sie sich nicht einmal vorstellen können. Doch sie führten zu nichts. Alles, was mir gelang, war, es zu besänftigen. Es einzulullen.«
    »Mit Musik?«, fragte Kathryne. Sie sah aus, als begreife sie allmählich, was er ihnen zu sagen versuchte. »Etwa mit diesem Geiger?«
    »Dieses… Böse unter der Stadtinsel ist wie ein Säugling: wütend, wenn es seinen Willen nicht bekommt, aber ebenso leicht zu besänftigen. Sofern man über die richtigen Mittel verfügt.«
    »Sie meinen wirklich die Geige«, murmelte Rhett nahezu tonlos und definitiv fassungslos.
    »Erics Instrument. Er war mein Wachtposten, mein Sandmann. Wann immer er spielte, ruhte die Präsenz, strebte nicht danach, aus ihrem unterirdischen Verlies zu drängen. Also spielte er, Tag für Tag, Nacht für Nacht.«
    »Bis Anne des Weges kam. Zornige, verletzte, verstoßene Anne.« Kathryne schlug die Hände vor den Mund. »Was hast du getan, Schwester?«
    »Den Stopfen gezogen«, antwortete Zamorra. »Wir wussten schon lange, dass Anne zu Morden fähig ist, wenn sie auf Solopfaden wandelt. Dass sie von ihrer Wut auf Krychnak und alles, was mit ihm zusammenhängt, zu aggressivem, unreflektierten Verhalten angestachelt wird. Vermutlich ist Zann ihr schlicht in einem dieser Momente begegnet - und wurde Opfer ihrer Wut.«
    »Eine Wut, die sich seitdem noch verstärkte. Weil der Schlafende, diese Präsenz dort unten, sie nährt. Steigert.« Rhett schauderte bei der Vorstellung. Er hatte selbst gesehen, was aus Anne geworden war, seit dieses Unbekannte ihr zusätzliche Energie verlieh. Beinahe hätten sie die Begegnung mit ihr nicht überlebt.
    »Seit Zanns Tod suchen wir nach Mitteln, seine Arbeit fortzusetzen«, fuhr Chagnaud in seinem Bericht fort. »Doch die Statuten der RATP sind streng und unumgänglich: Ohne Spielgenehmigung darf man nicht auf den Metro-Stationen musizieren. Und diese Genehmigungen werden nur zweimal jährlich verliehen. Gaston hat versucht, dagegen anzukommen, und scheiterte bitterlich. Allerdings: Wer weiß, ob es ihm überhaupt gelungen wäre, das Böse zu besänftigen, wie Zann es konnte. Immerhin ist Zanns Geige - das einzige Instrument, mit dem es bislang gelang - seit dessen Ermordung verschwunden.«
    »Der erste Mord war also Zufall«, schlussfolgerte der Professor.
    »Übersprungshandlung der zornigen Anne. Doch der zweite Mord, der an dem Touristen, hatte eine Absicht.«
    Rhett nickte. »Uns hierher zu locken. Der Sterbende wies die Gendarmerie in Richtung Château Montagne, und das konnte er nur, weil Anne es ihm auftrug. Er war ihr Köder und brachte uns dazu, das Haus zu verlassen und nach Paris zu kommen.«
    »Wo Anne schon auf uns wartete«, setzte Dylan nach. »Um uns fertigzumachen. Hast du nicht selbst gesagt, sie komme nicht länger durch die M-Abwehr, Zamorra? Kein Wunder, dass sie uns statt zu Hause lieber hier haben will!«
    Léon Chagnaud hob den schmalen Kopf mit den eingefallenen Wangen und blickte zum Meister des Übersinnlichen. In der Dämmerung sah er aus wie ein lebender Leichnam. »Monsieur«, hauchte er krächzend. »Ich glaube, diese Geschichte ist für uns beide von persönlicher Natur. Vielleicht hatte mein armer, treuer Gaston tatsächlich recht, als er meinte, Sie allein könnten uns noch helfen.«
    ***
    Die Wand explodierte mit
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