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093 - Neun Leben

093 - Neun Leben

Titel: 093 - Neun Leben
Autoren: Claudia Kern
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selbst störte sein Doppelleben nicht; im Gegenteil, denn er lebte mit seiner Familie besser als die meisten freien Menschen.
    Sie hatten ein Haus, eine Kutsche, Frekkeuscher, sogar eigene Sklaven. Seine Kinder würden zur Schule gehen, sobald sie alt genug waren, und als erste in seiner Familie Lesen und Schreiben lernen. Das Leben hatte es gut gemeint mit ihm, seit die Sklavenhändler ihn vor langer Zeit aus seinem Dorf gestohlen hatten.
    Wie immer betrat er das Haus seines Herrn über den Hintereingang und nach Einbruch der Dunkelheit. Es war nicht gut, wenn man sie zu oft zusammen sah. Neutralität war sein wichtigstes Verkaufsargument.
    Olaaf hörte seinen Herrn bereits schmerzerfüllt husten, als er die Tür aufschloss. Er wusste, dass Siimn den Heilern zu sehr misstraute, um sich selbst in deren Händen zu begeben, weil er schon zu viele bestochen hatte. Trotzdem wirkte er immer wieder auf Siimn ein, bot ihm sogar an, die Gedanken der Heiler zu lesen, während sie ihn behandelten. Bisher hatten seine Worte jedoch wenig Wirkung gezeigt.
    Er schloss die Tür und ging an den Sklavenunterkünften vorbei in die Gemächer seines Herrn. Das Haus war absichtlich mit nur einem Stockwerk und ohne Treppen erbaut worden und deshalb entsprechend groß.
    »Komm rein«, sagte Siimn heiser, als Olaaf an der Türschwelle stehen blieb.
    Es war ein großes Zimmer mit einem Holzfußboden und schweren Teppichen an den Wänden. Der Kamin war jetzt im Sommer leer, aber trotz der Wärme lag eine Decke über den Beinen seines Herrn und er drehte einen Krug mit heißem Honigwein zwischen seinen Fingern.
    »Setz dich und sag mir, was es Neues gibt.« Siimn mochte es nicht, wenn er zu Leuten aufsehen musste. Deshalb verfügte jeder Raum im Haus über mehrere Sitzgelegenheiten. Es war eine der Eigenarten, die er seit seinem Unfall entwickelt hatte.
    Olaaf wählte bescheiden einen Hocker und schlug die Beine übereinander. »Einer der Attentäter hat überlebt. Meister Johaan hat mich hinzugezogen, damit ich die Gedanken des Mannes lese. Der König fragte ihn, wer hinter dem Attentat stecke.«
    Siimn lehnte sich vor. »Und?«
    »Ich sagte, es sei Osgaard.«
    »War es tatsächlich Osgaard?«
    »Nein, Herr.« Olaaf war stolz darauf, das Interesse seines Herrn so geweckt zu haben. Manchmal hatte er den Eindruck, dass ihn nur das Intrigenspiel am Leben hielt.
    »Dann ist also jemand Osgaards Attentäter zuvor gekommen. Das wird ihn ärgern. Sag mir, wer wirklich dahinter steckt.«
    Olaaf sagte es ihm, und Siimn lächelte.
    »Uns stehen interessante Zeiten bevor.«
    ***
    Als die Nacht hereinbrach, bewegte sich der Jäger. Den ganzen Tag hatte er am Waldrand ausgeharrt, hatte die Wachen auf ihren Türmen beobachtet und die Soldaten an den Toren.
    Zweimal hatten die Gesichter gewechselt, beim dritten Mal sogar die Uniformen. Die Männer und Frauen, die jetzt Wache schoben, wirkten unzufrieden und verärgert. Der Jäger hörte, wie sie murrten und die Wartenden vor den Toren anschrien.
    Jeden einzelnen von ihnen hätte er mit Leichtigkeit besiegen können, aber im Inneren der Stadt gab es keine Fluchtmöglichkeit. Er dachte an die Silbermünze in seiner Tasche. Vielleicht gab es ja einen anderen Weg.
    Schließlich entschied sich der Jäger für ein Seitentor, das nicht von Mauern, sondern einem Holzzaun umgeben war. Wenn man ihn hier nicht hineinließ, konnte er immer noch das Holz einschlagen.
    Er klopfte mit der Faust gegen die Tür, so wie er es bei anderen gesehen hatte. Die Bretter vibrierten unter seinen Schlägen und zeigten erste Risse.
    »Hey! Bist du bescheuert?« Die Stimme auf der anderen Seite der Tür klang undeutlich und angetrunken. »Was willst du?«
    »Rein«, sagte der Jäger.
    »Hau ab. Hier kommt keiner rein.«
    »Ich gebe dir eine Silbermünze.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja.«
    Die Stimme schwieg. Der Jäger nahm die Münze aus seiner Tasche und wartete ohne Ungeduld. Irgendwann würde der Mann schon seine Entscheidung treffen.
    Ein Riegel wurde zurückgeschoben, dann öffnete sich die Tür.
    »Okee, zuerst die Münze, dann… ach du Scheiße.« Der Soldat musste den Kopf in den Nacken legen, um dem Jäger in die Augen sehen zu können.
    »Hier ist deine Münze.« Er legte sie dem Mann in die Hand, ging an ihm vorbei und in die Stadt hinein. Sie stank noch schlimmer, als er befürchtet hatte, aber den Geruch seiner Feinde überlagerte sie nicht. Zumindest einer war ganz in seiner Nähe.
    Der Jäger hielt die Nase in den Wind und
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