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0907 - Imperium der Zeit

0907 - Imperium der Zeit

Titel: 0907 - Imperium der Zeit
Autoren: Simon Borner
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heutigen Champagne vor den Truppen des Kaisers Aurelian kapituliert. Wie sollte es angehen, dass eben dieser Terticus heute durch Trier geisterte?
    »Was haben Sie vor?«, fragte Nicole.
    »Ich werde nun einlösen, was ich Johann zugesagt habe«, sagte der Fremde, und eine hämische, schadenfrohe Belustigung schwang in seiner Stimme mit. »Ich werde ihn die Zeit, die doch so sehr an ihm nagt, vergessen lassen. Ihnen kann ich leider nicht dieselbe Behandlung angedeihen lassen; ich stehe nicht in Ihrer Schuld und darf mich daher nur bestimmter… Methoden bedienen. Doch sobald Johann erst einmal weg ist, werden wir sehen, was ich jenseits der Magie noch für Sie tun kann, meine Schöne.«
    Ein leises Zischen ertönte, und Nicole sah, wie sich hinter dem kreidebleichen, wimmernden Winzer weißer Nebel bildete. Wenn nicht bald ein Wunder geschah, das wusste sie in diesem Augenblick mit zweifelsfreier Sicherheit, dann waren Bechtel und sie verloren.
    ***
    Und das Wunder geschah.
    Der weiße Nebel, der hinter dem Winzer aufgekommen war, hüllte diesen wider Erwarten nicht ein, sondern begann, eine breite Gestalt zu formen.
    Nein , dachte Nicole, und ihr Herz machte einen hoffnungsvollen Sprung, nicht eine Gestalt. Zwei.
    Zunächst gewann der Speer an Form. Wie ein absurder Leuchtturm stand er plötzlich inmitten des weißen Dunstes, rot glühend und von nahezu körperlich spürbarer Macht beseelt. Dann kamen Hände aus dem Weiß, vier Hände, die sich um den hölzernen Griff der Waffe schlossen. Arme folgten, Schultern, zwei Körper. Rotes Hemd und weiße Hose.
    Das Schauspiel dauerte nur wenige Augenblicke und gehörte doch zu den unglaublichsten Dingen, die Nicole Duval je gesehen hatte. Buchstäblich aus dem Nichts heraus kommend, standen mit einem Mal Zamorra und Kaiser Terticus I. im Raum. Und als der Römer sah, was dort hinter der Französin lauerte, kannte er kein Halten mehr.
    Terticus senkte den Speer in die Waagerechte und machte zwei Schritte in den Raum hinein, die Waffe streng in die Ecke hinter Nicole gerichtet. »Hie et nunc«, zischte er. »Eripe me! Eripe me ex loca infernorum.«
    Zamorra reagierte sofort. Er griff in die rechte Tasche seines weißen Jacketts und nahm einen der kleinen Sternsteine heraus. Der bläulich leuchtende magische Kristall glitzerte in seiner Hand, und für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Nicole, ob ihr Chef den Dhyarra vor oder nachdem er mit dem Römer verschwunden war, aus dem Kofferraum des draußen parkenden Jaguars genommen hatte.
    Mit einem stummen Blick verständigten sich die Dämonenjäger. Sie wussten beide, dass Nicole eindeutig besser mit der Magie des Kristalls umgehen konnte. Auf ihr Nicken hin, hob Zamorra die Hand und warf ihr den Sternstein zu.
    Der Kristall flog quer durch den Raum, und landete direkt in Nicoles ausgestreckter Hand. Die Französin zögerte nicht lange, umschloss den Sternstein mit den Fingern und wandte sich zur Seite. Mit wenigen Schritten war sie, den Blick jedoch streng auf den Boden gerichtet, an Terticus Seite.
    Der Römer beachtete sie gar nicht. Fordernd und wütend schritt er den Substanz gewordenen Schatten in der hinteren Ecke des Büros immer näher.
    »Vorsicht, es könnte Odin sein!«, rief Zamorra ihr zu, und aus den Schatten löste sich ein erschrockenes Keuchen. Oder war es ein Lachen? Sie wusste es nicht. »Odin«, fuhr Zamorra fort, »oder jemand, der sich einer ähnlichen Macht bedient.«
    Abermals traute Nicole ihren Sinnen nicht. Odin? Glaubte ihr Chef tatsächlich, es hier mit einer nordischen Gottheit zu tun zu haben? Dieser Fall wurde von Minute zu Minute größer und unfassbarer.
    »Du schmeichelst mir, Mensch«, sagte der Unbekannte. »Und ich muss gestehen, dass deine Kombinationsgabe beachtlich ist. Was, so sage mir, hat mich in deinen Augen verraten? Der Speer? Hat er dich an Gungnir erinnert, die berühmte Waffe des Gottes?«
    »Das ist nicht Odin!«
    Eine Stimme, die beiläufig klang, nahezu teilnahmslos. Ruhig und weitaus gefasster, als man anhand ihrer Quelle vermuten sollte. Johann Bechtel hatte gesprochen, und es schien, als habe sich der alte Winzer wieder unter Kontrolle. Die Augen fest auf die Schatten gerichtet, in denen der Grausame wartete - aus denen er bestand - schritt Bechtel zum Bücherregal, griff gezielt einen Band heraus und öffnete ihn. Dem Aufdruck nach, so erkannte Nicole, handelte es sich um eine wissenschaftliche Analyse nordischer Mythen und Legenden.
    »Das ist nicht Odin«,
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