Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0907 - Imperium der Zeit

0907 - Imperium der Zeit

Titel: 0907 - Imperium der Zeit
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
Nigra wieder angestrahlt werden und sich abermals zum beliebten Fotomotiv der Touristen entwickeln. Das ehemalige Stadttor sah auch wirklich beeindruckend aus - umso mehr, wenn man von der erstaunlichen Geschichte dieser doch so verschlafen wirkenden Stadt wusste. Trier, der politische Mittelpunkt eines gallischen Reiches… Sollte man nicht meinen, wenn man bedenkt, dass hier heutzutage um zwanzig Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden.
    Was hatte von Hoyten noch mal gesagt? 80.000 Einwohner zu Römerzeiten? Na, da war in zweitausend Jahren ja gerade mal ein Viertel dazugekommen. Kein Wunder, dass so viele andere Orte das Moselstädtchen längst überholt hatten. Als sie vor einigen Tagen über die Autobahn hergekommen waren, hatte Zamorra ein Plakat bemerkt, das am Straßenrand gestanden und Werbung für die Region gemacht hatte. Darauf war das Foto eines Winzers zu sehen gewesen, der in einem gemütlich ausgeleuchteten Weinkeller vor seinen Fässern stand und mit Kennerblick ein gut gefülltes Glas ins Licht gehalten hatte. »Rheinland-Pfälzer können mehr als nur Wein lesen«, hatte darunter gestanden. Und schon damals hatte Zamorra in Gedanken nur eine Reaktion gewusst: Kann gut sein, aber in manchen eurer Gegenden gebt ihr euch wirklich Mühe, das zu verheimlichen. Ein lautes Geräusch riss den Professor aus seinen Gedanken. Es war der Schrei eines Menschen in Todesangst - und er kam direkt aus dem Haus der Bechtels!
    ***
    Im Nu war Zamorra aus dem Wagen und über die Einfahrt zum Wohnhaus gerannt. Die Haustür war nicht abgeschlossen, daher hielt er sich nicht lange mit Klingeln auf, sondern klopfte einmal laut, öffnete dann die Tür und trat einfach ein.
    Sobald er den weiträumigen Flur betreten hatte, spürte der Professor, dass etwas nicht stimmte. Ein eigenartiges Kribbeln lag in der Luft, eine Art Anspannung, der sich auch Zamorra nicht entziehen konnte. Hastig blickte er sich um, konnte aber niemanden sehen. Dann hörte er das Wimmern!
    Das Geräusch kam aus dem hinteren Bereich des Flures, in welchem Zamorra Bechtels Büro wusste. Kurz überlegte er, ob er rufen und seine Anwesenheit bekannt machen sollte, doch je nachdem, was er dort hinten vorfand, könnte sich das Überraschungsmoment als entscheidender Vorteil herausstellen. Mit gezielten, leisen Schritten näherte sich Zamorra dem Büro.
    Schon von weitem sah er, dass die Tür, welche der Winzer bei ihrem Besuch vor wenigen Stunden noch so eisern verteidigt hatte, nun offen stand. Durch den breiten Spalt konnte er in den dahinter liegenden Raum blicken, sah die hohen Bücherregale an den Wänden, sogar eine Ecke des Kamms… und das Bein, das in einem absurd anmutenden Winkel verdreht auf dem Boden lag. Ein regloses Bein, unter einem hellblauen Sommerkleid.
    Im Nu war Zamorra im Zimmer.
    Dann stockte ihm der Atem.
    »Gudrun…« Johann Bechtels Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Speichel lief von der zitternden Unterlippe des Winzers und tropfte auf sein zerknittertes Hemd, und auf seinen Wangen schimmerte es feucht. Tränen standen in seinen Augen. »Gudrun.«
    Bechtel stand leicht zur Seite gebeugt - fast so, als wolle er sich zu seiner Gattin hinabbeugen, die in einer immer breiter werdenden Blutlache am Boden lag, traue sich aber nicht, die Bewegung auszuführen. Und vermutlich tat er gut daran, denn der Grund für Gudruns Verwundung - tödliche Verwundung, vermutete Zamorra - hatte ihn genau im Auge.
    Es war der Römer!
    Die Geistererscheinung stand an der rechten Wand des Zimmers, sah den Winzer aus wütenden Augen an und hielt den Speer, von dessen Spitze Gudruns Blut auf den Boden tropfte, fest auf Bechtel gerichtet.
    »Johann, bleiben Sie ganz ruhig«, sagte Zamorra und bemühte sich, dem verzweifelten Alten ein wenig Sicherheit zu vermitteln. Eine einzige unbedachte Bewegung könnte schon ausreichen, um den lauernd wirkenden Geist wieder zu provozieren.
    Erst jetzt schien Bechtel zu bemerken, dass der Professor anwesend war. Mit glasigem, angsterfülltem Blick sah er zu ihm, hob langsam die Hände und fragte: »Warum?«
    Für einen absurden, kurzen Augenblick hatte Zamorra das Gefühl, als rede der Winzer nicht mit ihm, sondern… mit den Schatten in der hinteren Ecke des Zimmers? Der Professor kniff die Augen zusammen. War da etwa noch jemand im Raum? Noch… etwas?
    Und wenn ja: War es eine weitere Bedrohung?
    Merlins Stern hätte längst anschlagen und seinen Träger beschützen müssen, wenn es so wäre. Doch Merlins Stern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher