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0907 - Imperium der Zeit

0907 - Imperium der Zeit

Titel: 0907 - Imperium der Zeit
Autoren: Simon Borner
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wusste, was er tat und wohin er ging.
    »Du bist hier zu Hause, oder?«, fragte er, nicht zuletzt um seine eigene Stimme zu hören, die ihm in dieser unwirklichen Umgebung ein wenig Halt geben sollte. »Du kennst dich hier aus.«
    Der Legionär hielt inne, drehte sich zu Zamorra um und legte einen Finger an die Lippen. Eine Warnung. »Silentium!«, wisperte er, und der Professor musste einmal mehr an die schrillen Raubvögeltöne und die riesenhaften Schemen in der Ferne denken. Vielleicht war es sicherer, leise zu sein.
    Schweigend schritten die ungleichen Männer weiter, einem Ziel entgegen, das nur einer von ihnen kannte, und das, so hoffte Zamorra inständig, ihm neben Antworten auch einen Weg zurück in die Wirklichkeit bot.
    ***
    Zamorra hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit: Vor ihnen schälte sich ein Gebäude aus dem Dunst, dass sich nur als Palast beschreiben ließ und dessen immense Schönheit mit jedem Meter, den sie ihm näherkamen, weiter wuchs. Er sah weiße Steinsäulen, die ein meterhoch gelegenes Spitzdach stützten, marmorne Fußböden, in denen man sich unter besseren Lichtverhältnissen vermutlich hätte spiegeln können. Eine breite Steintreppe führte vom Erdboden nach oben und in das beeindruckende Gebäude, und als der Legionär wie selbstverständlich durch den Torbogen ins Innere der Villa trat, tat der Professor es ihm gleich.
    Das Haus schien leer zu sein, machte aber den Eindruck, als sei es für einen hohen Herren gebaut, der es mit großem Personal bewohnen konnte. Zamorra sah einen Innenhof mit sprudelndem Brunnen und mehreren Ziersäulen, ein Peristyl, das um selbigen herumführte, und zahlreiche weitere Eingänge und Räume. Der Legionär bewegte sich mit einer Sicherheit durch die ansonsten menschenleeren Korridore des Gebäudes, als sei er hier zu Hause. Vermutlich war dem auch so.
    Sie erreichten einen Raum in der Mitte des Hauses, und der Legionär beugte sich hinab, um eine der Kerzen zu entzünden, die in einer Ecke standen. Ihr Licht verbreitete eine angenehmere Atmosphäre und half sogar, die dünnen Nebelschwaden, die sich noch bis hierher durchgekämpft hatten, weniger präsent wirken zu lassen. In der Raummitte standen zwei hölzerne, kunstvoll gefertigte Stühle um einen quadratischen, vielleicht fünfzig mal fünfzig mal fünfzig Zentimeter messenden Stein, von dem ein leichtes, rötliches Glühen ausging. Vorsichtig näherte sich Zamorra dem Klotz und stellte überrascht fest, dass sich auf seiner Oberfläche seltsame Runen befanden, die allem Anschein nach vor langer Zeit eingemeißelt worden waren.
    Ein Druidenstein? Im Haus eines römischen Legionärs? Zamorra wusste, dass in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt in manchen Gegenden oberhalb der Mosel noch nordischen Gottheiten gehuldigt worden war. Dort hatte man derartige Steine schon gesehen - sie waren von den Gläubigen zu Ehren ihrer Götter beschlagen und verziert worden. Aber was hatten Loki, Odin und Co. in der Gegenwart eines Legionärs des römischen Reiches zu suchen?
    Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen! Der Speer, der in der gleichen Farbe glühte wie dieser Stein. Der Rabe in Johann Bechtels Büro. Und Trier, natürlich Trier! Mit einem Mal war die Verbindung da, und Zamorra keuchte, als er begriff, was ihm so lange entgangen war. Er hatte recht gehabt, auch wenn ihm diese Erkenntnis bis jetzt noch nichts gebracht hatte: Es war der Speer!
    Der Römer stellte seine Waffe in die Ecke, trat zu den beiden Stühlen und ließ sich seufzend auf einen hinab. Mit der Hand deutete er Zamorra, es ihm gleichzutun.
    »Absentia longa morti aequiperatur«, sagte der Römer leise, und der Professor konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein unfreiwilliger Gastgeber das Gespräch mit ihm suche. Er schien reden zu wollen.
    »Lange Abwesenheit kommt dem Tod gleich.« Ich verstehe nicht ganz, was das bedeuten soll. Wer ist abwesend? Du, aus der Wirklichkeit?
    »Acerba semper et immatura mors eorum, qui immortale aliquit parant«, fuhr der Legionär fort. Immer bitter und verfrüht ist der Tod derer, die etwas Unsterbliches erschaffen. »Actum est de re publica.« Um die Republik ist es geschehen.
    Zamorras Gedanken rasten. Unsterbliches schaffen? Eine verlorene Republik? Und dann noch dieses fürstliche Haus? Sollte er sich etwa geirrt haben und keinem Legionär gegenübersitzen, sondern…?
    »Wer seid Ihr?«, fragte er leise und wiederholte den Satz sogleich auf Latein. Der Römer
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