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0889 - Eishauch des Todes

0889 - Eishauch des Todes

Titel: 0889 - Eishauch des Todes
Autoren: Christian Montillon
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versank in einer tiefen Ohnmacht.
    ***
    Die Puppe wartete, erschüttert und aufgewühlt von dem, was sie erfahren hatte.
    Und von dem Anblick dessen, der sie geschaffen hatte.
    Der Schnitzer…
    Ihr Vater und Herr.
    Sie ahnte, dass mit der Vollendung zum Menschsein noch nicht der letzte Schritt ihrer Entwicklung gegangen war. Etwas wartete auf sie, ein abschließender, herrlicher Schritt.
    Nur worum es sich bei diesem Schritt handeln könnte, das vermochte sie sich nicht vorzustellen. Zu viele Fragen waren offen geblieben, zu viele Gedanken hatten noch nicht ihre endgültige Form gefunden.
    Sie musste nicht lange warten, es kam ihr vor wie ein einziger Augenblick, bis er zurückkam.
    »Ich musste gehen und von meinem zweiten Sohn Abschied nehmen.«
    »Da ist noch etwas, das du vor mir verbirgst. Was ist geschehen?«
    Er lachte. »So sehr verstehst du mich bereits, so sehr sind wir schon eins, dass du das bemerkst? Es war nichts Wichtiges, meine Tochter, mein Augenstern, mein Herz!«
    Sie ging auf den Schnitzer zu. »Darf ich dich etwas fragen?«
    Er nickte gönnerhaft.
    »Woher kommst du?«
    »Deine Fragen zeigen, dass du bereit bist. Du stehst so kurz davor zu verstehen, dass der Zyklus sich vollendet und alles von neuem beginnt. Sieh mich an, mein Kind! Ich bin nicht der Anfang, und ich bin nicht das Ende. Nun wartet der Eishauch…«
    »Der Eishauch des Todes«, murmelte sie. Warum sagte er dies? Was hatte das zu bedeuten?
    »Der Eishauch des Lebens «, widersprach er. »Ich will dir erklären, was du noch nicht verstehst… ich habe dich geschnitzt, mein Kind, doch frage dich selbst - woher kommt der Schnitzer?«
    Da verstand sie, und sie zitterte vor Ergriffenheit.
    ***
    Zamorra erwachte.
    Sein Schädel brummte, als habe er einige Flaschen zuviel Rotwein in seiner Lieblingskneipe unterhalb des Châteaus getrunken. Ein rascher Blick auf die Uhr ergab, dass er nur wenige Minuten ohnmächtig gewesen sein konnte.
    Und doch möglicherweise schon zu lange. Er wusste, wo sich der Schnitzer aufhielt - oder zumindest zum Zeitpunkt des Rituals aufgehalten hatte. Ob dies immer noch der Fall war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen, und zudem war es in jeder Minute möglich, dass es sich änderte.
    Er fischte das Handy aus der Tasche seines Anzugs. »Lange genug geschlafen, Kollege«, murmelte er und tippte die Nummer von Pierre Robins Handy.
    Nach dem dritten Läuten meldete sich eine verschlafene Stimme.
    »Tut mir leid«, versicherte der Meister des Übersinnlichen wenig überzeugend. »Ich gebe dir eine Adresse - dort solltest du mit einigen Mann möglichst schnell auftauchen. Aber haltet euch im Hintergrund, bis ich dort ankomme und ins Haus eingedrungen bin. Dort wartet jemand, mit dem ich besser allein rede.«
    »Was…«
    »Später! Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ach ja - schick mir mit höchster Priorität ein Taxi.«
    Er gab beide Adressen durch und legte auf.
    ***
    »Ich bin bereit«, sagte die Puppe, »um den großen Plan zu erfüllen.«
    »Die nächste Stufe im ewigen Kreislauf wartet«, erwiderte der Schnitzer. »Ich freue mich, dass du es bist, die die Voraussetzungen erfüllt. Du wirst ich sein… ich werde du sein!«
    Dann beugte sich die Puppe zu ihrem Schöpfer und sandte ihm den Eishauch des Todes… und des Lebens.
    Ein Nebel baute sich zwischen ihnen auf, eine dünne Brücke.
    Der dürre Körper begann zu zittern, ehe sich feiner Reif überall auf die ausgemergelte Haut legte.
    Wie immer wurde es vor allem im Gesicht besonders deutlich. Die schwarzen Haare schienen grau zu werden, als sie steif froren und sich mit weißem Eis überzogen, hauchdünn und zart wie ein Spinngewebe. Die Gesichtshaut blühte in der Kälte ein letztes Mal auf, wie schon seit Jahren nicht mehr.
    Dann gefroren die Augäpfel, und das Leben in ihnen erlosch. Die Pupille weitete sich, bis der Apfel zerbrach wie Glas und Wassertropfen in die Lücken flossen.
    Ein Ächzen, voll Grauen und voll Begeisterung entrang sich dem Mund des Schnitzers. »Es geschieht«, sagte er, nachdem sein Leib schon lange gestorben war. Auf derlei Kleinigkeiten war ein Geist wie der Seine nicht angewiesen.
    Ein nebelartiges Gespinst löste sich aus dem toten Körper. Es trudelte auf die Puppe zu, die wie ein Magnet wirkte, den Mund öffnete und das Gebilde inhalierte.
    Ihr Körper straffte sich.
    Lebendig.
    Sie fühlte sich so lebendig wie noch nie zuvor.
    Und sie veränderte sich nicht, denn was sie aufnahm, war mehr als die Essenz eines Menschen,
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