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Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Titel: Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Er fuhr einen kaffeebraunen, schnellen Sportwagen. Und er kam immer um diese Zeit, so zwanzig Minuten vor neun.
    »Morgen, Doktor«, sagte der Mann an der Schranke. Das Parkhochhaus enthob Dr. Richard Normann der täglichen Sorge, im Stadtzentrum einen Parkplatz suchen zu müssen. Er war hier Dauermieter. Im fünften Stock hing ein Schild an der Wand: ›Nur für M-WZ 8954‹.
    Es war der 3. Juni, ein ganz gewöhnlicher Sommertag. Er versprach heiß zu werden. Normann würde davon nicht viel merken. Seine Praxisräume besaßen eine Klimaanlage.
    Er schloß seinen Wagen ab, steckte die Schlüssel ein und folgte dem Schild ›Zum Lift‹. Richard Normann war siebenunddreißig Jahre alt, ledig, von Beruf Psychiater. Ein großer, breitschultriger Mann, der Figur nach eher ein Sportlehrer als ein Seelenarzt.
    Es roch nach Benzin und Gummi, wie in allen Garagen. Er ging rasch, und in Gedanken war er schon bei seiner ersten Patientin. Eine Schauspielerin, zweimal geschieden, viele Affären, früher eine makellose Schönheit, jetzt einundvierzig und ratlos. Nach einem Selbstmordversuch hatte er sie in Behandlung genommen.
    Vor ihm klapperten ein Paar Absätze. Zu den Schuhen gehörten hübsche, lange Beine. Mehr hatte er kaum registriert, als er ein weißes Kuvert zu Boden fallen sah.
    Er zögerte einen Moment. Es war leicht möglich, daß sie es absichtlich weggeworfen hatte.
    Schließlich hob er es doch auf und lief ihr nach. »Hallo! Ich glaube, Sie haben etwas verloren.«
    Das Mädchen blieb stehen, drehte sich um.
    Richard Normann starrte sie an. Ein Traum riß ihn fort. Der Traum, daß er endlich wiedergefunden hatte, was er seit Jahren unbewußt suchte: eine Frau, die wie Marilyn war. Ein Mädchen, das der Toten glich.
    Die Fremde war schön. Aber was bedeutete das! Er kannte viele schöne Frauen. Sie war blond. Aber er kannte viele Blondinen.
    Nein, das war es nicht, was ihn fast um den Verstand brachte. Er nahm in einer einzigen Sekunde viel mehr an ihr wahr: den Augenaufschlag, eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht fiel, die Farbe des Lippenstifts, das Parfüm, das sie benutzte, die stolze Art, wie sie den Kopf hielt, den langen, schmalen Hals. Und er kannte ihr Lächeln, noch ehe sie es gezeigt hatte.
    »Du lieber Gott«, sagte sie, »das wäre eine schöne Bescherung gewesen. Stellen Sie sich vor: In dem Kuvert sind die Karten für die Karajan-Aufführung!«
    Sie sah ihn dabei an. Mit einem freundlichen, etwas forschenden Blick in ihren hellen Augen. Und er dachte: Genauso hat mich Marilyn damals angesehen, und es war kein Parkhaus, sondern ein Schnellimbiß. Und die Stadt hieß nicht München, sondern New York. Und das Gespräch fand nicht auf deutsch, sondern auf englisch statt.
    Er gab der Fremden das Kuvert. Um irgend etwas zu sagen, fragte er: »Was für eine Aufführung?«
    »›Boheme‹. Am Freitag im Nationaltheater. Sind Sie etwa auch dort?«
    »Nein.«
    Sie trug ein rot-weiß gestreiftes Sommerkleid. Ein Kleidchen, kniekurz, ärmellos. Bis zum Brustansatz ausgeschnitten. Ihre Haut war braun – von der Sonne, von der Luft, vom Wasser. Er konnte sich ihren Körper vorstellen, einen schlanken, jungen Körper. Er dachte es ohne Begierde. Es war kein animalischer Wunsch, sie zu besitzen.
    Er war nur immer noch nicht aus seinem Traum aufgewacht. Er hörte Worte, die lange her waren: »Ich liebe dich, Richard … Mehr kann man einen Menschen nicht lieben.«
    Aber auf seltsame Weise nahmen Erinnerungen die Gestalt dieses Mädchens an. Es war höchstens fünfundzwanzig. So alt, wie damals Marilyn war.
    »Vielen Dank«, sagte sie.
    »Wofür?« fragte er geistesabwesend.
    Sie lachte, schwenkte das Kuvert.
    »Ach so, ja. Gern geschehen.«
    Andere Autos rollten die Betonpiste herauf. Männer, die ausstiegen, drehten sich nach ihr um. Einer von ihnen hielt die Tür des Lifts auf: »Hallo, fahren Sie mit?«
    »Ja«, sagte sie.
    Ein leises, zischendes Geräusch, der Lift durchmaß fünf Stockwerke in ein paar Sekunden. Unten traten sie noch gemeinsam auf die Straße, dann zerrann der Traum.
    »Auf Wiedersehen«, lächelte sie.
    »Auf Wiedersehen.« Dr. Richard Normann sah ein rot-weiß gestreiftes Sommerkleid im Passantenstrom verschwinden.
    Zwei Stunden später betrat Laura Riffart das Büro ihres Mannes. Jetzt war ihr rot-weißes Kleid nicht mehr ganz so kühl und unzerknittert. Etwas erschöpft ließ sie sich in einen der Ledersessel fallen.
    Viktor saß hemdärmelig hinter seinem Schreibtisch und telefonierte.
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