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0889 - Eishauch des Todes

0889 - Eishauch des Todes

Titel: 0889 - Eishauch des Todes
Autoren: Christian Montillon
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tausend Mal hatte sie sich diese Frage gestellt. Oder noch unendlich öfter.
    »Zeig dich!« Sie ging weiter in den düsteren Raum hinein. Die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen; nur wenig Abendsonne fiel durch die kleinen Schlitze an den Seiten. Es reichte gerade, die Konturen der Möbel zu erkennen.
    Ein Mann erhob sich aus dem Sessel, der mit der Rückenlehne zu ihr stand. Er trug schwarzes, schulterlanges Haar. Als er sich umwandte, blickte sie in ein bleiches Gesicht, das von einer vogelschnabelähnlichen Nase dominiert wurde. Dunkelgraue Augen schauten sie eiskalt an - doch mitten in der Eiseskälte entdeckte sie noch etwas anderes: Sympathie. »Ich bin derjenige, der dir diese Wohnung bereitet hat. Ich habe es für dich getan, und genauso für meine beiden anderen Kinder, die ich geschaffen habe.«
    »W-was willst du…«
    »Ich bin der Schnitzer.« Der Mann kam auf sie zu. Ein weiter Umhang umhüllte ihn. Der Stoff schwang bis auf den Boden und glitt als Schleppe darüber. Er war von dunklem Blau.
    Beim nächsten Schritt klaffte er auseinander, und die Puppe sah, dass er innen mit blutrotem Samt gefüttert war, in das eigenartige Symbole gestickt waren, Monde, Sterne und Dinge, die sie nie gesehen hatte.
    Er reckte der Puppe einen knochigen Arm entgegen. »Mein Kind, ich bin es. Was fühlst du?«
    Der Schnitzer… sie dachte über diese Bezeichnung nach. Sofort fiel ihr ein, was es zu bedeuten hatte. Sie war eine Puppe und er ihr - Vater.
    »Ich habe dich geschaffen, Maicostera… und nun bist du perfekt. Ich rufe dich bei deinem Namen! Komm zu mir, meine Tochter.«
    Ein Schauer durchrann den Körper, der einst Holz gewesen war und nun aus Fleisch und Blut bestand. »Wieso musste ich töten?«
    Der Schnitzer glitt aus dem Umhang und legte ihn über die Lehne des Sessels. Sein gesamter Leib war so dürr und ausgemergelt, wie es der eine Arm erahnen ließ. Die Rippen standen hervor, dass jede einzelne zu sehen war. Der Bauchraum bildete eine hohle Kuhle, auf der eine Schlagader pulsierte. Nur um die Hüften schlang sich noch ein vielfach gewundenes Tuch, sonst war die Gestalt nackt. »Fragt etwa die Schale aus Ton den Töpfer, wieso er sie so geformt hat? Ist sie nicht dankbar für die Gestalt, die ihr gegeben wurde?«
    »Was willst du von mir?« Kaum waren die Worte ausgesprochen, bereute sie sie und ersetzte sie durch das, was sie wirklich fühlte: »Ich danke dir, dass du gekommen bist.«
    »Du hast viele Fragen, mein Kind. Ich schuf dich nach meinem Bilde, doch du warst nackt und bloß und lagst starr in deinen Spänen. Ich ließ dich zurück in diesem Haus, aber ich hauchte dir einen Teil meines Lebens ein. Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde für dich, aber mir blieb nichts anderes übrig, als dich allein zu lassen. Ich musste mich auch um deine beiden Brüder kümmern, die ebenfalls geschnitzt werden wollten. Meine Kinder, wie sehr liebte ich euch, aber ich musste einen von euch inzwischen verlieren. Er starb, weil er es nicht vollbrachte, seinen Weg zu finden. Er verwehte in der Zeit, statt das ewige Leben zu finden, wie es dir bevorsteht.«
    »Hast du ihn - getötet?«
    »Ich? Niemals würde ich einem von euch Leid zufügen. Er verzweifelte an seinem besonderen Schicksal und richtete sich selbst. Ein Messer stieß er in seine Brust, noch ehe er die Vollendung erreicht hatte. Nur noch drei Mal hätte er einem Menschen den Lebensfunken rauben und ihn inhalieren müssen… dann wäre er soweit gewesen wie du nun schon bist. Aber er verzagte und versagte deshalb.«
    Die Puppe schloss die Augen, weil sie schmerzten. Zu lange hatte sie in die Düsternis gestarrt und versucht, mehr zu erkennen, gerade im Gesicht des Schnitzers. Diese dunklen Augen schienen jedes bisschen Licht, das im Raum vorhanden war, in sich aufzusaugen wie ein Moloch, wie ein Schwarzes Loch im Zentrum des Universums. »Warum zieht es mich zu den Frauen, die sind wie ich?«
    »Du irrst dich, mein Kind. Nicht sie sind wie du - du bist wie sie. Du gleichst dich ihnen äußerlich an, ahmst sie nach, indem du den Lebensfunken in dich aufsaugst, den du als Nebelgespinst wahrnimmst. Es hätte jede andere Menschenfrau sein können, doch du wurdest geprägt von der ersten Weiblichen, die du erblickt hast in deiner Existenz, die ich dir schenkte. Du hast nicht versagt… ich bin stolz auf dich. Du hast sie getötet auf deine ganz eigene Art.«
    »Der Eishauch des Todes - hast du ihn mir geschenkt?«
    Das Lachen klirrte wie Glas,
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