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0865 - Aus Tinte geboren

0865 - Aus Tinte geboren

Titel: 0865 - Aus Tinte geboren
Autoren: W.K. Giesa
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grinste er. »Da an der Wand ist meine Legitimation. Vielleicht schreibe ich noch 95 Thesen und nagele die an die Schultür. He, Computer, hilfst du mir beim Ausformulieren? Du hast doch ein paar Hundert oder tausend mehr oder weniger blöde Phrasen gespeichert. Na, willst du?«
    Natürlich antwortete ihm das Gerät nicht. Heimtückisches Gerät! Von Hilfsbereitschaft und Pflichtbewusstsein keine Spur!
    »Tja, dann muss ich das wohl selber machen. Oder es lassen. Man muss es ja nicht übertreiben.«
    In diesem Moment geschah etwas, womit Rhett überhaupt nicht gerechnet hatte.
    Es war etwas völlig Unglaubliches.
    Der Klecks an der Wand begann, sich zu bewegen! Er veränderte sein Aussehen, seine Umrisse. Auch der Mittelpunkt begann wechselnde Motive zu zeigen. Alles genau wie in dem Video-Clip!
    Die Veränderungen waren synchron im Takt mit der immer noch laufenden Musik.
    Sprachlos starrte Rhett den Klecks an. Gab's denn so was?
    »Bin ich jetzt übergeschnappt?«
    Die Musik verstummte; das Gerät wartete auf die nächste Eingabe oder ein erneutes Repeat. Zugleich stoppten die Veränderungen im Mittelpunkt des Kleckses.
    Stattdessen geschah jetzt etwas ganz anderes.
    Der Klecks aus fast schwarzer Tinte begann sich zu bewegen. Er floss von der Wand weg, über die technischen Geräte auf die Tür zu.
    »Nein«, flüsterte Rhett fassungslos. »Das ist doch unmöglich! Es… lebt?«
    Winkte ihm der Klecks nicht mit seinen oberen Spitzen zu?
    »He«, stieß er hervor. »Wer oder was stellst du dar?«
    Natürlich bekam er keine Antwort. Der dunkle Riesenklecks, der mit seiner Schwärze sogar das Licht zu schlucken schien, setzte seinen Weg fort.
    »Was, beim Schnarchzeh der Panzerhornschrexe, habe ich da bloß erschaffen…?«
    ***
    »He, bleib doch hier! Wo willst du denn hin?«, rief Rhett dem dunklen Wesen nach. »Wer bist du? Und wie heißt du?«
    Doch er erhielt auch jetzt keine Antworten auf seine Fragen.
    Das Schwarze, Lichtlose glitt nun auf den Boden hinab. Es zerrann, ohne den Teppichboden zu verschmutzen und floss langsam, als bestehe es aus Sirup, unter der Tür hindurch. Dabei machte es ein Geräusch, als würde eine Gitarrensaite zerreißen.
    Sofort wurde es in Rhetts Zimmer wieder heller. Dem schlanken Jungen mit dem schwarzen T-Shirt, das mit dem Gesicht der deutschen Comicfigur »Kater Felix« und darunter zwei gekreuzten Knochen bedruckt war, kam es vor, als habe das Tintenwesen die Dunkelheit mitgenommen.
    Die Szene, die sich eben hier abgespielt hatte, kam ihm vor, als wäre sie einem Titelbild der bekannten Computerkünstlerin Candy Kay entnommen worden. Rhett liebte ihre Bilder sehr.
    Er sprang zur Tür und riss sie auf.
    Der Gang war hell erleuchtet, trotzdem konnte Rhett das dunkle Wesen nicht sehen. Weder links, wo seine Mutter wohnte, noch rechts beim Jungdrachen Fooly.
    »Wo bist du?«, wollte er wissen, doch er erhielt keine Antwort.
    Ratlos strich er die störrischen rotbraunen Haare zurück.
    Der Erbfolger vermutete, dass das mysteriöse Wesen vom Gang aus unter der Tür in den darunterliegenden ersten Stock geflossen war. Da er in all den Jahren, die er auf Château Montagne wohnte, schon einiges erlebt hatte, fand er nichts wirklich Befremdliches an diesem Gedanken, obgleich er sich beim besten Willen nicht erklären konnte, wie das möglich war.
    Außerdem erwachte das Llewellyn-Erbe immer öfter in ihm. In naher Zukunft würden für ihn derlei Angelegenheiten wieder völlig normal sein.
    Seine Lehrer bekämen Schreikrämpfe, wenn er ihnen davon erzählte, besonders Madame Montalban.
    Bloß nicht an diese geistige Greisin denken , befahl er sich selbst in Gedanken.
    Rhett lief den Gang entlang, so schnell er konnte. Dabei öffnete er die Türen der Nebenräume und blickte kurz hinein. Nur Zamorras Arbeitszimmer im Nordturm war wie üblich verschlossen.
    In keinem der Räume fand er, was er suchte.
    »Verdammter Mist! Wo ist das Ding bloß hin?«, fluchte er, als er an der letzten Seitentür angelangt war. Dann blickte er die Treppe hinab.
    Aber auch hier war seiner Suche kein Erfolg beschieden.
    »Wo könnte dieses dreimal verfluchte Ding bloß hingegangen sein?«, überlegte er laut, während er die Treppe abwärtsging. »Und vor allen Dingen: Was ist es in Wirklichkeit?«
    ***
    Stygia brütete vor sich hin. Warum hatte Lucifuge Rofocale ihr das angetan? Natürlich waren sie sich beide nicht grün; sie mochte ihn nicht, weil er aus einer der Spiegelwelten gekommen und einfach das Amt
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