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0784 - Der Seelenangler

0784 - Der Seelenangler

Titel: 0784 - Der Seelenangler
Autoren: Earl Warren
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gemusst hatte.
    Die Schmerzen der Nierenkolik hatte sie nie vergessen und schämte sich noch immer ein wenig, dass es ihr nicht gelungen war, diese als Gottesdienst und Martyrium anzusehen. In ihren jüngeren Jahren hatte Schwester Lioba oft geträumt, eine Märtyrerin früherer Zeiten zu sein.
    Zwar war sie nach einer Äbtissin benannt, einer Gefährtin des Heiligen Bonifatius, die im 8. Jahrhundert gelebt hatte. Doch Märtyrer und Märtyrerinnen hatten Lioba von Kind auf sehr imponiert.
    In ihrem Abruzzendorf hatte es nur die Pfarrbibliothek gegeben, die hauptsächlich fromme Werke und Heiligen- und Märtyrerbücher enthielt. In Letzteren war schwülstig beschrieben worden, wie von Kind auf fromme Menschen in früheren Zeiten ihre Zeit hauptsächlich im Gebet zugebracht hatten, also durch große Frömmigkeit auffielen. Bis sie irgendwann als absoluten Lebenshöhepunkt erreichten, für ihren Glauben, den sie unter keinen Umständen aufgeben wollten, sterben zu dürfen.
    Bei ihrem letzen Besuch in Pescantanto hatte sie mit Entsetzen festgestellt, dass es jene ehrwürdigen und auch blutrünstigen Heiligen- und Märtyrerfibeln dort nicht mehr gab. Die Pfarrbibliothek war modernisiert worden, die Fibeln verschwunden, das Werk eines jungen Geistlichen, den Schwester Lioba für einen Ketzer hielt.
    Was sie ihm nicht gesagt hatte. Stattdessen hatte sie für sein Seelenheil gebetet, Jedoch dabei heimlich gehofft, der Himmel würde durch ihr Gebet auf seinen Eklat aufmerksam werden. Und ihn dafür bestrafen.
    Denn hauptsächlich weltliche und für den Geschmack der ältlichen Nonne allzu freizügige Werke enthielt diese Bibliothek jetzt. Schwester Lioba erinnerte sich noch gut daran, wie sie als Kind im schattigen, kühlen Pfarrgarten gesessen und jene Fibeln gelesen hatte. An die Schilderungen und die naiven Bilder, die darstellten, wie jene Glaubenszeugen gevierteilt, geröstet, mit Zangen zerrissen, in Öl gesotten, verbrannt oder von wilden Tieren in der Arena zerrissen wurden.
    Gegeißelt und anderes, ohne dass ihre Standhaftigkeit dadurch ins Wanken gekommen war. Wenn ein solcher Märtyrer nur enthauptet wurde, war er noch gut weggekommen - nach Schwester Liobas Ansicht verdiente er den Rang dann eigentlich nicht.
    In Öl gesotten zu werden, war so ziemlich der Minimalanspruch, den die Nonne an einen Märtyrer stellte, wenn es nach ihr gegangen wäre. Doch leider hatte sie das Kardinalskollegium nicht gefragt.
    Gern malte sich Schwester Lioba in ihren Träumen auch heute noch aus, was sie niemals gebeichtet hatte. Wie sie hocherhobenen Hauptes auf einem Scheiterhaufen stand und, während die Flammen schon um ihre nackten Füße züngelten, ihren Feinden vergab. Oder schwerste Martern fromme Lieder singend und betend ertrug, während Engel schon über ihr warteten, um sie dorthin zu bringen, wo sie einmal hin wollte.
    Sie war überzeugt, dass sie eine vorzügliche Märtyrerin abgegeben hätte, an der sich manch andere eine Scheibe hätte abschneiden können. Doch leider war sie zu spät geboren, die Christenverfolgungen waren schon seit vielen Jahrhunderten vorbei, diese Chance verspielt.
    Man muss sich mit dem begnügen, was man hat, dachte die kleine Nonne. Den Papst zu pflegen ist auch nicht schlecht. Auch dafür dachte sie einmal gewiss in den Himmel zu kommen, obwohl ihr das Schicksal keine Märtyrerrolle vergönnt hatte.
    Sie seufzte. In ihrem Hinterkopf regte sich ein wenig Skepsis, als sie an die Nierenkolik dachte. Da hatte sie laut geschrien. Aber, dachte sie bei sich, das war kein Martyrium im christlichen Sinn gewesen, bei dem Engel gefälligst zu helfen hatten. Bei ihr war halt keiner gewesen.
    Dafür hatte sie später Morphium bekommen.
    Plötzlich wurde es kühl. Schwester Lioba, in ein Gebet vertieft, merkte es zunächst nicht. Erst als sie Liguster roch wurde sie aufmerksam.
    Es war genau der Geruch, den sie wahrgenommen hatte, wenn sie als Kind und später als Jugendliche im Pfarrgarten die Märtyrerfibeln las. Die Nonne schaute auf.
    Halbdunkel umgab sie, hüllte sie ein. Sie nahm ihre Umgebung von vorher noch wahr, doch wie durch einen Filter. Das Vogelgezwitscher und Bienengesumm waren verstummt. Warme Weihrauchluft umhüllte die weiß gekleidete Nonne, die ihren Rosenkranz in der Rechten hielt.
    Sie sah einen strahlenden Mann vor sich. Er war bärtig, und er trug eine Dornenkrone. Angetan war er nur mit einem Lendenschurz, der ihm bis über die Knie hing, und in den Handinnenflächen und an den
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