Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0709 - Märchenfluch

0709 - Märchenfluch

Titel: 0709 - Märchenfluch
Autoren: Timothy Stahl
Vom Netzwerk:
sein Nachtlager aufgeschlagen, damit er sofort zur Stelle sein konnte, wenn die Ziegen unruhig werden sollten.
    Unruhig war aber die ganze Nacht über schon nur Parmalee selbst.
    Zum x-ten Male überprüfte er seine Flinte. Nach wie vor steckte je eine Patrone in jedem Lauf, und immer noch war die Waffe gesichert, damit er sich nicht unversehens das Gesicht wegschoss, sollte er doch noch einnicken und unglücklich an den Abzug kommen.
    Aber diese Gefahr bestand wohl eher nicht. Zwar brannten Parmalee die Augen vor Müdigkeit, aber das nervöse Kribbeln überall unter seiner Haut ließ ihn einfach nicht schlafen.
    Fast wünschte er sich, der Bär oder Wolf möge hier aufkreuzen, damit er, Parmalee, dem Spuk ein Ende machen konnte.
    Bär oder Wolf - ja, das war die Frage, über die der Ziegenfarmer in Ermangelung eines besseren Themas nicht zum ersten Mal nachdachte, während er so dalag.
    Der Doc in Rumford, der das tote Mädchen untersucht hatte, war offenbar zu blöd gewesen, um eine klare Antwort darauf zu finden. Na ja, vielleicht lag's daran, dass er noch nie Wunden gesehen hatte, wie sie ein Bär oder Wolf verursachte. Wie sollte er auch? Parmalee hatte noch von keinem Fall in Maine, geschweige denn in dieser Gegend gehört, bei dem ein Wolf oder ein Bär einen Menschen angefallen hätte.
    Er persönlich tippte eher auf einen Schwarzbären. Von der Sorte gab es reichlich in den ausgedehnten Wäldern von Maine, halbwegs aktuellen Schätzungen zufolge über 20000, auch wenn man sie kaum einmal zu Gesicht bekam. Black ghosts nannte man sie deshalb, weil sie wie Geister durch die Wälder streiften und man meist nur ihre Spuren und Hinterlassenschaften fand. Die Bären ernährten sich zwar in erster Linie von Pflanzen und machten allenfalls Jagd auf Kleintiere, aber vielleicht hatte ja einer zufällig irgendwo Menschenblut geleckt und war so auf den Geschmack gekommen?
    Diese Theorie schien Carl Parmalee jedenfalls stimmig. Und vor allem wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass sich ein menschenmordender Wolf in den umliegenden Wäldern herumtrieb, da diese Spezies im Pine Tree State seit rund hundert Jahren als ausgerottet galten. Hin und wieder wurde mal einer gesehen, und zwei oder drei waren während der letzten paar Jahre sogar geschossen worden, aber das war alles droben im Norden passiert, wo's noch nicht mal so winzige Örtchen wie Fly Creek gab, sondern fast ausschließlich unberührte Natur. Mochte schon sein, dass da oben ein paar Wölfe illegal aus dem benachbarten Kanada eingewandert waren und sich diesseits der Grenze heimisch niedergelassen hatten. Aber hier unten im Südwesten…?
    Eine Ziege meckerte jenseits der Bretterwand, die den Schuppen vom Stall trennte.
    Parmalee grinste. »Stimmt genau! Nie und nimmer gibt's hier unten Wölfe.«
    Wie zustimmend meldeten sich weitere Ziegen »zu Wort«, doch Parmalees anfängliches Grinsen gerann zur Grimasse.
    Die Tiere wurden unruhig!
    Er schlug die Decke beiseite, griff die Flinte mit beiden Händen und sprang auf. Er hatte die niedrige Tür zum Stall noch nicht einmal erreicht, als dahinter auch schon die Hölle losbrach!
    Parmalee rammte die Tür auf, stürmte hindurch - und blieb stehen, als sei er gegen eine zweite, unsichtbare Tür gerannt.
    Er hatte sich geirrt.
    Es war doch ein Wolf!
    Und was für einer…!
    Wäre Carl Parmalee je in die Verlegenheit gekommen, das Tier beschreiben zu müssen - er hätte es nicht gekonnt.
    Alles, was er sah, als er in den Stall kam, waren monströse Zähne und Klauen, das Spiel unglaublich kräftiger Muskeln unter dunklem Fell und Augen wie Glut.
    Und Parmalee sah rot. Buchstäblich!
    Blut floss und spritzte, während das Untier wie ein Tornado aus Fängen und Krallen unter den Ziegen wütete. Aufgeschlitzte und in der Luft zerrissene Leiber wirbelten durch die Luft.
    Und doch schien die Vorgehensweise des Wolfes unheimlich zielstrebig. Als schlüge er nicht wahllos zu.
    Der Lärm wurde ohrenbetäubend, steigerte sich ins Infernalische! Parmalee hatte noch nie irgendein Tier so schreien hören! Das Brüllen der Ziegen klang entsetzlich - entsetzlich menschlich.
    Etwas flog wie ein rotes Tuch auf Parmalee zu und klatschte ihm ins Gesicht. Nass und warm lief ihm der Schwall Ziegenblut über Stirn und Wangen und machte ihn einen Moment lang blind, bis er es sich aus den Augen gewischt hatte.
    Die hölzernen Trennwände zwischen den Boxen gingen krachend und splitternd zu Bruch, teils unter der Gewalt des tobenden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher