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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Autoren: Thommie Bayer
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    »Sakrament, bist du schön.« Die weiße Katze mit den grauen
und schwarzen Flecken saß auf einem Holzstoß am Wegrand. Ich ging unwillkürlich
langsamer, um sie nicht zu erschrecken, näherte mich bis auf etwa zwei Meter
und blieb dann stehen.
    Wäre sie am Boden gesessen, hätte ich mich in die Hocke begeben. Das
tue ich immer, denn der Charme von Katzen weht mich seit jeher an wie eine
Botschaft oder Ahnung, etwas, das ich zwar empfange, aber nicht verstehe und deshalb
umso aufmerksamer beachte – vielleicht ist es nur das: Wenn ich eine Katze
sehe, dann weiß ich, dass ich lebe.
    »Das ist kein Grund zu fluchen«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Hast du schon verstanden.«
    »Sprichst du?«
    »Klar.«
    »Menschensprache?«
    »Nicht direkt. Es kommt in deinem Kopf als Menschensprache raus, ich
spreche nicht wirklich, es passiert innen, ich muss nicht mal den Mund
aufmachen dafür. Oder siehst du mich miauen?«
    Sie gähnte, streckte sich, zuerst nach vorne, dann nach hinten, dann
nahm sie wieder ihre sitzende Haltung von eben ein und schaute vor sich hin,
als warte sie auf das Erscheinen einer Maus direkt zwischen ihren Pfoten. Für
mich sah das ein bisschen gelangweilt aus, aber ich konnte mich täuschen, mir
war schon klar, dass unsere Körpersprache sich von der katzischen
unterscheidet.
    »Darf ich näher kommen?«, fragte ich.
    »Klar.« Das klang nun aber wirklich gelangweilt.
    »Langweile ich dich?«
    »Das ist keine Katzenkategorie. Langeweile gibt es nur für
Menschen.«
    Das klang nun eindeutig arrogant für mich, aber sie darauf
hinzuweisen, schien mir sinnlos – ich sah ihre Antwort voraus, auch Arroganz
sei keine Katzenkategorie. Also ignorierte ich den Anflug von Ärger, den mir
ihr blasierter Ton verursachte, und ging zu ihr, lehnte mich an den Holzstapel
und sah ihr in die Augen. Grün und Bernstein. Sie gähnte wieder. Sie hatte
Mundgeruch.
    »Und das, was du gerade tust, also hier liegen und in die Gegend
schauen, wie fühlt sich das an? In Katzenkategorien gedacht?«
    »Wie Vordemjagen, Nachdemschlafen oder Vordemspielen oder
Nachdemessen.«
    »Verarschst du mich?«
    »Nein. Ich mag dich.«
    »Warum?«
    »Weil du mich magst. Und ich seh dir an,
dass du schon mal um eine wie mich getrauert hast. Dein Blick ist liebevoll und
sehnsüchtig, so als könnte ich vielleicht eine Wiedergängerin derjenigen sein,
deren Fehlen du immer noch manchmal an deiner Haut spürst.«
    Damit traf sie ins Schwarze. Und zwar mit solcher Wucht, dass ich
den Blick von ihr abwandte, weil ich nicht wollte, dass sie sah, was in mir
vorging.
    Die Augen auf die Wiese gerichtet, versuchte ich, das Thema zu
wechseln: »Du denkst also nur deinen Teil des Dialogs und schickst ihn dann auf
irgendwie telepathische Weise in mein Gehirn, wo er sauber übersetzt in Menschensprache
ankommt?«
    »So etwa. Ja.«
    »Dann bist du echt was Besonderes.«
    »Gleichfalls. Du auch.«
    »Wieso?
    »Dem Hübschen macht der Spiegel Komplimente.«
    Obwohl das nun ganz sicher was Nettes war, wurde ich den Verdacht nicht
los, dass sie mich herablassend behandelte. Schon die Form ihrer Antwort,
dieser Orakelton, war überheblich.
    »Ist ein Spiegel eine Katzenkategorie?«
    »Ein Spiegel ist ein Ding, und eine Kategorie ist was zum Denken.
Und mit den Unterschieden von Katzensicht und Menschensicht würden wir endlos
Zeit vertun«, sagte sie, »tut mir leid, dass ich davon angefangen hab. War meine
Schuld.«
    Ich legte beide Ellbogen auf den Holzstoß und betrachtete die Wiese
mit den Sommerblumen und den etwas weiter entfernten Waldrand. Wo die Katze
hinsah, wusste ich nicht, ich jedenfalls schaute auf die sonnige Lichtung und
versuchte, die Bienen oder Hummeln zu entdecken, deren Summen ich hörte.
    Dieser Ort war wie geschaffen zum Glücklichsein. Der Moment
eigentlich auch, aber irgendetwas störte. Anstatt die Unterhaltung mit einer
Katze, einer wunderschönen obendrein, zu genießen, stellte ich misstrauische
Überlegungen darüber an, ob sie sich eventuell über mich lustig machte. Und
wenn schon. Was gab es daran auszusetzen?
    »Geht’s dir gut?«, fragte sie neben meinem Ohr.
    »Ich weiß nicht so recht«, sagte ich, »manchmal weiß ich’s nicht so
recht. Jetzt grad ist das der Fall.«
    Ich spürte ihre feuchte Nase an meinem Kinn, dann ihren Pelz, sie
war aufgestanden und rieb sich an mir. Dann spürte ich ihre raue Zunge in
meinem Haar – sie putzte mich.
    »Und jetzt?«, fragte sie nach einigen Minuten intensiver
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