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0709 - Märchenfluch

0709 - Märchenfluch

Titel: 0709 - Märchenfluch
Autoren: Timothy Stahl
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Zamorra!
    Dass er den Verlauf der Geschichte zwar geändert hatte, indem sich anstelle von Dornröschen die böse Fee an der verwunschenen Spindel verletzte, beeinflusste den weiteren Verlauf offensichtlich um keinen Deut.
    Zamorra schwankte wie der berühmte Halm im Wind. Seine Augenlider schienen plötzlich bleischwer.
    Raus hier! rief er sich in Gedanken zu. Irgendwie - nur schnell!
    Er taumelte mehr als dass er wirklich ging auf eines der Fenster zu. Rücklings ließ er sich dagegen fallen. Das Glas brach unter seinem Gewicht. Sämtliche Kraftreserven raffte er zusammen, als er sich hintenüber kippen ließ.
    Dann stürzte er inmitten eines Scherbenregens in die Tiefe.
    ***
    Die Müdigkeit verflog, zäh zwar, aber immerhin.
    Dafür sah Zamorra den Boden immer deutlicher und vor allem immer schneller auf sich zurasen.
    Die ersten Scherben klirrten schon auf festen Grund.
    Zamorra löste den geistigen Griff um sein Gedankenbild und löschte das Szenario aus.
    Das Gefühl des Stürzens indes verging nicht. Er fiel immer noch, irgendwohin.
    Langsamer jedoch als zuvor. Fast meinte er zu schweben.
    Er schloss die Augen. Konzentrierte sich von neuem. Rief ein anderes Bild aus seiner Erinnerung ab.
    Dann prallte er irgendwo auf. Nicht sanft, aber auch nicht so hart, dass er sich sämtliche Knochen im Leibe gebrochen hätte. Schmerzhaft war es trotzdem.
    Noch bevor er die Augen aufschlug, roch er seine neue Umgebung. Es war ein vertrauter Geruch, einen, den er schon in seiner Kindheit kennen gelernt hatte - es roch nach feuchter Erde, nach Moder und Staub, pilzig, alles von einem kühlen Luftzug getragen.
    Sicher, alle Burg- und Schlossgewölbe dieser Welt rochen in etwa so.
    Aber wenn man als Kind wieder und wieder durch ein ganz bestimmtes geschlichen war und es auch als Erwachsener häufig aufsuchte, dann empfand man den Geruch dieses einen Ortes als charakteristisch und einzigartig.
    Zamorra öffnete die Augen und nickte zufrieden.
    Er war zu Hause.
    ***
    Zamorras blühende Phantasie im Kindesalter hatte dazu geführt, dass er sich die Schlösser der Märchenmajestäten nicht einfach nur als Prunkbauten vorgestellt hatte.
    Nein, sie hatten in seiner Vorstellung immer auch etwas Düsteres besessen, vor allem Katakomben.
    Die wiederum hatte er im Geiste so gesehen wie jene, die unter Château Montagne lagen, dem Schloss seines Onkel Louis', den er als Junge häufig besucht hatte. Damals war er oft in dem unterirdischen Labyrinth aus Gewölben, dunklen Gängen, Kammern, Verließen und Zellen umhergestreift, immer auf der Suche nach Schätzen oder anderweitigen Geheimnissen. Nach Louis de Montagnes Tod hatte er das Château später geerbt. [1]
    An diesem Ort tief unter dem Schloss befand er sich nun. Freilich nicht in den tatsächlichen Kellergewölben von Château Montagne, nein, nur in ihrem Abbild. Das aber war so speziell, so detailliert und einzig, dass es in keines anderen Menschen Vorstellung existieren konnte, zumindest nicht in solchem Zusammenhang.
    Und somit gab es keinen Verwahrungsort, der sicherer gewesen wäre als dieser.
    In einer winzigen Zelle, deren Boden aus blanker Erde bestand, spießte Zamorra den Papierpacken mit der Spitze der Spindel auf, dann pflockte er den schlanken Kristallkegel in den Boden, mit einer Wucht, als stoße er einem Vampir den tödlichen Pfahl ins Herz.
    Die Zauberkraft der Spindel würde jegliche Aktivität, die von den Zeichnungen, den Geschichten oder eben dem verfluchten Papier ausgehen konnte, für hundert Jahre lahmen.
    Aber auch nach Ablauf dieser Zeit war nicht damit zu rechnen, dass irgendjemand diesen Ort aufsuchen würde, um neues Unheil heraufzubeschwören.
    Zamorra nickte befriedigt. Dieses Problem also war gelöst.
    Blieb noch eines: Wie kam er jetzt zurück?
    Nun, vielleicht befand er sich ja nur einen Gedanken weit entfernt von seiner Welt und dem, was ihm darin am liebsten und teuersten war.
    Nicole!
    ***
    Vier blutige Kratzer waren plötzlich auf Zamorras Wange erschienen, ohne erkennbaren Grund.
    Das allein war schon unheimlich gewesen.
    Noch viel beunruhigender aber fand Nicole, dass sich der Eindruck, den sie vorhin schon gehabt hatte, verstärkte, länger anhielt und öfter auftrat.
    Zamorra, wie er vor ihr lag, verlor an Substanz! Er schien sich mehr und mehr von einer Person aus Fleisch und Blut in eine dreidimensionale Figur aus Farbe und Federstrichen zu verwandeln!
    Amory Stagg hatte es längst auch schon bemerkt.
    »So tun Sie doch etwas«, forderte er
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