Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0709 - Märchenfluch

0709 - Märchenfluch

Titel: 0709 - Märchenfluch
Autoren: Timothy Stahl
Vom Netzwerk:
deshalb verzichtete Zamorra darauf. Vielleicht konnte er seine Umgebung auch nur deshalb akzeptieren und sozusagen für bare Münze nehmen, weil er jetzt Teil davon war. Denn seine Idee hatte offenbar funktioniert, bis hierher zumindest…
    Er hielt sich nicht mit weiteren Überlegungen auf, sondern handelte, so lange das Glück ihm hold war. Womöglich war sein Aufenthalt in dieser anderen Ebene zeitlich befristet, also durfte er keine Sekunde verlieren.
    Er machte sich daran, die umhertreibenden Seiten aus Amory Staggs selbstgemachtem Weird Tales aufzulesen. Teils war es nur noch Papierschlamm, den er aus dem Wasser fischte.
    Es war nicht dunkel hier unten, nicht auf dieser Ebene, wenn auch keine Lichtquelle erkennbar war. Allerdings sahen Nicole und Stagg für Zamorra nicht mehr aus wie Personen aus Fleisch und Blut, sondern wie Federzeichnungen. Sie schauten in seine Richtung. Ob sie ihn sehen konnten?
    Er winkte. Sie erwiderten die Geste nicht. Aber Nicoles Strichlippen kräuselten sich zu einem Lächeln, auf ganz eigene Weise so schön wie das ihrer echten Lippen…
    Zamorra sah sich um, ohne noch etwas zu finden. Dann musste der Packen aufgeweichten Papiers, den er in der Hand hielt, alles sein, was Stagg seinerzeit unter der Kirche versteckt hatte.
    Jetzt stand also der zweite Teil des Planes an.
    Zamorra watete auf eine der Treppen zu, die hinter schmalen Durchlässen in der Wand nach oben führten.
    Als er den Fuß auf die unterste Stufe setzte, fokussierte er sein ganzes Denken auf einen bestimmten Punkt seiner Erinnerung - und um ihn herum veränderten sich die Treppe sowie die Wände zu beiden Seiten.
    Ein klein wenig nur, aber genug, um sich mit Zamorras Vorstellung zu decken, mit dem Gedankenbild, das er vor vielen, vielen Jahren als Kind ersonnen hatte.
    Und damit wurde diese Treppe zu jener Treppe, die zur Spitze eines ganz bestimmten Turmes hinaufführte, wo Zamorra wiederum etwas ganz Bestimmtes zu finden hoffte…
    ***
    Zamorra hatte sich schon in jungen Jahren durch eine lebhafte Phantasie ausgezeichnet. Entsprechend detailreich waren seine ganz eigenen Vorstellungen all der Geschichten gewesen, die er damals gehört und gelesen hatte.
    Und so wirkte auch seine jetzige Umgebung, die quasi aus seiner Erinnerung in diese Wirklichkeit projiziert wurde, erstaunlich echt. Sie hielt nicht nur Blicken stand, nein, man konnte sie regelrecht riechen, die feuchten Bruchsteinmauern links und rechts der engen Wendeltreppe, die Moose, Flechten und Pilze, die aus den Fugen zwischen den Steinen wuchsen, sogar der Geruch von Mäusedreck lag in der klammen Luft.
    Stufe um Stufe stieg Zamorra nach oben, aufs äußerste konzentriert, um die perfekte Illusion aufrechtzuerhalten.
    Die Erfahrung im Umgang mit Dhyarra-Kristallen gereichte ihm dabei zum Vorteil.
    Wer mit ihnen umzugehen verstand, konnte damit fast jegliche Vorstellung in Realität umsetzen, wenn er sich darauf konzentrierte. Ließ die Konzentration nach oder war sie nicht stark genug, konnte die Aktion allerdings sehr schnell zum Chaos geraten.
    Vor Zamorra erschien eine niedrige Tür. Ein verrosteter Schlüssel steckte im Schloss.
    Er legte die Finger darum, bereit, ihn zu drehen und die Tür zu öffnen.
    Jetzt kam der schwierige Teil. Denn jetzt wollte er einen Teil seiner kindlichen Vorstellung eliminieren, herauslösen aus dem Bild. In Gedanken schuf er den Anblick, den er jenseits der Tür vorfinden wollte.
    Dann schloss er auf und öffnete. »Verdammt!«, entfuhr es ihm. Es hatte nicht geklappt! Vor ihm lag das runde Turmzimmer. Durch vier Fenster fiel Licht auf ein Bett, ein Spinnrad - und auf eine alte Frau, die Zamorra eben nicht hatte sehen wollen!
    Dabei wirkte sie eigentlich ganz harmlos, wie sie da saß und Flachs spann. Auf den allerersten Blick zumindest…
    Auf den zweiten jedoch sahen ihre Finger, die mit Rad, Flachs und Spindel hantierten, aus wie knöcherne Spinnenbeine. Die stumpfen Nägel wuchsen plötzlich zusehends.
    Und ihr eben noch so gutmütiges Gesicht verwandelte sich, als sei es aus Wachs, das unsichtbare Hände zur Fratze modellierten.
    Sie hielt sich nicht damit auf, Zamorra zu fragen, wer er sei und was er hier wolle.
    Und sie ließ ihm auch keine Gelegenheit, seinerseits etwas zu sagen oder zu tun.
    Sie schoss von ihrem Schemel hoch, mit wehendem Gewand, furienhaft, eine Hexe ganz wie sie im Buche stand - und mit einem schier ohrenbetäubenden Brüllen stürzte sie auf Zamorra zu.
    ***
    Zamorra musste an sich halten, um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher