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059 - Der Folterknecht

059 - Der Folterknecht

Titel: 059 - Der Folterknecht
Autoren: Paul Wolf
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den rechten Weg zurückfinden wollte. Er versicherte mir, daß mir das sicher gelingen würde, wenn ich nur stark glauben würde. Nach einigen Tagen ließ ich ihn dann der Inquisition vorführen. Er weigerte sich, das Beichtgeheimnis zu brechen und über den „Sünder“ zu berichten, der sich ihm anvertraut hatte. Deshalb war er hier.
    Unsere Blicke begegneten sich, doch ich fand in seinem Gesicht keine Anzeichen dafür, daß er mich erkannte. Vielleicht erinnerte er sich nicht mehr; oder aber er erkannte mich nur nicht, weil es im Verlies so düster war. Es fiel nur durch drei vergitterte Öffnungen in der Decke Tageslicht herein. „Es ist unrecht, von deinem Pfarrer zu behaupten, daß er das Beichtgeheimnis gebrochen hat“, wiederholte der Vikar. „Gehe in dich und bete!“
    Mich fröstelte plötzlich, weil ich begriff, daß die Standhaftigkeit des Vikars nicht gegen ihn, sondern eher für seine Unschuld sprach. Und ich begriff auch, daß ich Schuld auf mich geladen hatte, als ich ihn vor das Tribunal der Ketzerrichter gebracht hatte. Und in diesem Augenblick begann ich zum ersten mal zu ahnen, daß ich außer dem Vikar noch viele andere Unschuldige auf dem Gewissen hatte.
    Wie sollte ich das je wiedergutmachen? Vielleicht war es eine gerechte Strafe, daß ich mich nun selbst vor der Inquisition zu verantworten hatte.
     

     

Die Tage vergingen, ohne daß man mich zum Verhör holte. Ich erlebte im Kerker viel Leid, hörte aus den Tiefen des Verlieses die Schreie der Gefolterten und sah dann, wie sie zugerichtet worden waren, wenn man sie zurück brachte. Ich konnte nur noch Mitleid mit diesen Menschen empfinden. Und je länger ich mit ihnen zusammen war, desto klarer erkannte ich, daß sie allesamt unschuldig waren. Wie verblendet ich doch früher gewesen war! Ein verdächtiges Wort, ein vertraulicher Hinweis hatten genügt, um gegen jemand Anklage zu erheben. Ich hatte gedacht, daß sich die Schuld oder Unschuld vor dem Tribunal der Inquisition herausstellen würde, doch jetzt erkannte ich, daß vor der Inquisition alle Angeklagten von vornherein schuldig waren.
    Aber diese Erkenntnis kam zu spät. Hätte ich mich gleich von Anfang an persönlich mit den Problemen meiner Opfer auseinandergesetzt, hätte ich versucht, ihnen menschlich näherzukommen, dann wäre den meisten von ihnen die Folter und der Tod erspart geblieben.
    Es waren aber nicht alle unschuldig, die sich mit mir im Verlies befanden. Unter uns befand sich auch ein Dämon.
    Im Morgengrauen des vierten Tages meiner Gefangenschaft machte ich eine grausige Entdeckung. Der Sohn des Hufschmieds war in Stücke gerissen worden.
    Der Vikar von Geching mußte sich übergeben.
    Einer, den sie gerädert hatten, schleppte sich unter großen Qualen auf mich zu.
    „Er hat es getan!“ schrie er, während er mich haßerfüllt anstarrte. „Erkennt ihr ihn denn nicht? Es ist dieser grausame Hexenjäger, der unsere ganze Stadt ausrotten will. Er wird uns alle – einen nach dem anderen …“
    Er verlor das Bewußtsein.
    Die anderen wichen erschrocken vor mir zurück, steckten die Köpfe zusammen und rasselten drohend mit den Ketten.
    Ich kniete so nieder, daß ich keinem von ihnen den Rücken zukehrte, und untersuchte dann mit Widerwillen die Überreste des armen Hufschmiedsohnes.
    „Das hat kein gewöhnlicher Mensch getan“, sagte ich schließlich.
    „Es war das Werk des Teufels!“ kreischte die Geistesgestörte und hob ihren eiternden Armstummel in die Höhe.
    „Jawohl“, sagte ich. „Es muß ein Dämon gewesen sein. Man kann noch deutlich die Spuren eines Raubtiergebisses erkennen. Wir haben einen Werwolf unter uns.“
    Der Vikar bekreuzigte sich und begann zu beten. Ein alter Mann, der während der Folter den Verstand verloren hatte, begann schrill zu lachen. Ein anderer versuchte, die Wand hochzuklettern. Er klammerte sich mit den Fingern in den Ritzen zwischen den Steinquadern fest, bis ihn die Kräfte verließen und er zu Boden stürzte.
    „Furchtbar!“ sagte jemand hinter mir.
    Ich drehte mich um. Es war der dicke Kaufmann, der einen Tag zuvor ins Verlies geworfen worden war. Er hatte bisher mit niemandem gesprochen und die Fragen der anderen nicht beantwortet.
    „Ein Werwolf, sagst du, hat das getan?“ fragte er. „Glaubst du denn wirklich, daß es so ein Geschöpf gibt? Und wer von diesen erbärmlichen Kreaturen könnte eine solche Bestie sein? Vielleicht die Dirne mit der einen Hand?“
    Ich besah ihn mir im fahlen Licht. In seinen
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