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0511 - Fenster der Angst

0511 - Fenster der Angst

Titel: 0511 - Fenster der Angst
Autoren: Jason Dark
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dabei handelte.
    Es war Blut!
    Ja, aus den Augen quoll Blut. Die Scheintote weinte blutige Tränen.
    Ein Bild, das selbst eine brutale Person wie Wilma Davies nicht kaltließ. Sie hatte die Arme heben wollen, um den Lehm in die Tiefe zu schleudern, statt dessen löste sie die linke Hand vom Stiel des Spatens und wischte über ihre Augen.
    Dieses furchtbare Bild des im Sarg liegenden Mädchens brannte sich in ihrem Gedächtnis ein.
    Nur sie sah es.
    »Bitte, Mrs. Davies, überwinden Sie sich und erweisen Sie Ihrem Pflegekind den letzten Gruß«, sprach der Pfarrer in die Stille hinein.
    »Andere werden das auch noch tun.«
    »Ja, ja…« Kurz und abgehackt stieß Wilma die beiden Worte hervor. Übernervös und hastig verneigte sie sich, wobei sie kurz danach die Schaufel zur Seite schleuderte, sich umdrehte und fast davongerannt wäre. Im letzten Augenblick riß sie sich zusammen.
    Zitternd blieb sie unter dem Geäst eines Baumes stehen. Wilma war hochrot im Gesicht. Ihr Herz hämmerte, im Kopf spürte sie einen starken Druck. In diesem Augenblick hatte sie den Eindruck, daß mit dem Tod des Mädchens nicht alles zu Ende war.
    Julia war nicht mehr scheintot. Sie konnte die Nacht nicht überstanden haben. Sie war zu einer echten Leiche geworden und gleichzeitig zu einer Toten, die blutige Tränen weinte.
    Mit der rechten Faust schlug sie gegen die Rinde am Stamm und hörte die Stimme ihres Mannes.
    »Gewissensbisse, Wilma?« Der Klang war lauernd, irgendwie wissend. Sie vernahm noch das Knirschen unter seinen Sohlen, als er einen Schritt vorging.
    Dann spürte sie seinen Atem, der warm über ihren Nacken glitt.
    »Geh!« keuchte sie. »Hau endlich ab, du Lüstling!«
    »Keine Vorwürfe, Wilma. Wer hier in der Schuld steht, müßte dir doch bekannt sein.«
    »Verschwinde!«
    »Was macht dein Gewissen, Frau? Weshalb hast du dich so seltsam benommen, als du in das Grab geschaut hast? Gab es dort etwas Besonderes zu sehen, Wilma?«
    »Ja, einen Sarg. Und darin lag dein Liebchen. Aber jetzt ist es tot!« zischte sie. »Es ist tot, verstehst du? Tot und tot…«
    »Nicht so laut, Wilma. Die anderen brauchen das doch nicht zu hören. Es wird sowieso geflüstert.«
    »Na und?«
    »Weißt du überhaupt, was die Leute sagen? Was sie sich erzählen?«
    »Ich will es nicht wissen.«
    »Das kann ich mir denken. Bis später dann, Wilma. Ich habe ein gutes Gewissen.« Leise lachend ging der Totengräber davon und ließ seine Frau allein zurück.
    Ich habe auch ein gutes Gewissen hatte sie sagen wollen. Es war ihr nicht über die Lippen gekommen. Nein, die hatte kein gutes Gewissen. Sie hatte Angst. Eine bittere, hündische Angst. Über ihrem Kopf lag eine Wolke, ein drohender Schatten. Er hatte sich dort zusammengebraut und würde auf sie niederdrücken.
    Erst nach einer Weile drehte sich die Frau um. Man kondolierte bei ihr nicht, dafür bei Pernell. Der wiederum stand neben dem Pfarrer.
    Die beiden sprachen leise miteinander.
    Manchmal schauten sie zu Wilma hinüber. Sie konnte diese Blicke einfach nicht länger ertragen, machte kehrt und lief über den schmalen feuchten Weg auf das Tor des kleinen Friedhofs zu, das offenstand. Obwohl sie darüber hinwegsah, bekam sie den Eindruck, als würde sich etwas in ihr Blickfeld schieben.
    Das Gesicht der Julia Ashley, aus dessen Augen blutige Tränen über die bleichen Wangen rannen.
    Erst jenseits der Mauer atmete sie auf. Sie stand jetzt im Schatten der Kirche, deren Turm alles andere überragte. Er stach in den grauen Novemberhimmel. Saatkrähen umschwirrten ihn und krächzten dabei voller Freude.
    Was Perneil tat, kümmerte sie nicht. Sie wollte nach Hause und vorerst niemanden sehen.
    Die Davies’ wohnten nahe des Friedhofs. Es war nur ein Katzensprung zur Arbeitsstelle, wie Pernell stets zu sagen pflegte. Das alte Haus war baufällig. Den kleinen Anbau hatte Pernell erst vor zwei Monaten errichtet. Dort bewahrte er sein Werkzeug auf.
    Im Sommer, wenn die Büsche Blätter trugen und auch die Bäume nicht kahl waren, konnten sie den Friedhof nicht sehen. Im Herbst und im Winter aber fiel ihr Blick vom Fenster aus auf die Grabsteine und Kreuze, die den Friedhof zeichneten.
    Es war ein schauriges Bild, das Wilma einfach nur als schrecklich empfand.
    Früher hatte es ihr nichts ausgemacht. Nach dem Tod des jungen Mädchens sah alles ganz anders aus.
    Sehr viel anders…
    Sie schloß mit zitternden Händen die Tür auf und tauchte in den muffigen Flur.
    Die Zimmer zweigten erst in der
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