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0511 - Fenster der Angst

0511 - Fenster der Angst

Titel: 0511 - Fenster der Angst
Autoren: Jason Dark
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Ein Unfall sagte man. Aber es gab Menschen, die mehr wußten, angeblich mehr wußten.
    »Tot ist tot«, sagte einer der Männer und schaute sich im Raum um. Es war nicht mehr als ein Verlies, in dem es scheußlich roch.
    Doch der Sommer war vorbei. Längst hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Blätter fielen von den Bäumen und bildeten auf dem Boden eine zweite Schicht.
    Der Raum gehörte zur Leichenhalle. Durch einen schmalen Gang konnte man ihn erreichen. Er besaß nur ein Fenster, dessen Scheibe verschmutzt war. Unter der Decke klebten die Spinnweben wie dickes Garn. Die Wände waren schmutzig und ebenfalls beklebt.
    Die »tote« Julia lag auf einem einfachen Holztisch. Nach jedem Benutzen wurde er gewaschen. Direkt über dem Tisch und dicht unter der Decke schaukelte die Laterne.
    Die Ölfunzel gab ein weiches Licht, dessen Reflexe auch über das Gesicht des Mädchens huschten. Trotz seiner Starre war zu erkennen, daß es sich bei Julia um ein hübsches Mädchen handelte. Julia besaß etwas traurige, melancholisch wirkende Züge. Ihre Augen waren groß, in ihnen war die Trauer zu lesen, selbst jetzt, wo sie »gestorben« war.
    Die beiden Bestatter waren Gelegenheitsarbeiter. Ihre Arbeit gehörte zu den Tätigkeiten, die niemand gern verrichtete. Man mußte schon lange suchen, um Männer zu finden, die sich vor Toten nicht fürchteten oder ekelten.
    Hank Boone tat diese Arbeit schon seit Jahren. Ansonsten hing er in den Gasthöfen herum und schlug sich durch kleinere Betrügereien durchs Leben. Ihm machte so leicht niemand etwas vor.
    Der Anblick des Mädchens rührte ihn irgendwie. Sein Kumpan war erstaunt, als er sah, daß Boone mehrmals um die Leiche herumging und sie dabei betrachtete.
    Er besaß wäßrige Augen. In der unteren Hälfte des Gesichts wuchs ein dichter Bart. Seine Kleidung stank nach verfaultem Laub, zudem war sie feucht.
    »Was hast du denn?«
    Boone blieb stehen. »So jung noch«, sagte er. »Die Kleine hätte auch meine Tochter sein können.«
    Der zweite Mann lachte rauh. »Deine Tochter? Darf ich mal grinsen?«
    »Wieso?«
    »So etwas hättest du doch nicht fertiggebracht.«
    »Halts Maul.«
    »Die kommt in den Sarg, und damit hat sich die Sache. Ich weiß überhaupt nicht, weshalb du dich aufregst.« Der Sprecher bohrte in der Nase und kam dabei näher. »Wo willst du anfassen? Oben oder an den Beinen?«
    »Ich nehme die Schultern«, sagte Boone.
    »Gut, dann bringen wir es hinter uns.«
    Der Sarg stand neben dem Holztisch, auf dem Julia lag. Es war eine schlichte Totenkiste, aus rohen Brettern zusammengenagelt.
    Zwischen ihnen existierten Lücken, als sollte noch Sauerstoff in den Sarg fließen, damit das Mädchen atmen konnte.
    Aber Tote atmen nicht.
    Und doch war es bei Julia anders. Sie war nicht tot, auch wenn es so aussah. Sie lebte, man hätte sie als scheintot bezeichnen können, und als Scheintote sollte sie auch begraben werden.
    Furchtbar…
    Julia spürte sogar die knochigen Finger, als Boone sie unter den Achseln anfaßte und anhob.
    Der andere hatte ihre Fußgelenke ergriffen. Er atmete lauter als sonst, eine Schnapsfahne wehte über den Körper der »Leiche«.
    »Hast du sie?«
    »Ja«, sagte Boone.
    Beide Männer hoben sie vom Tisch. Obwohl die Laterne brannte, war es in der Leichenhalle kalt und düster. Hier herrschte nur ein Gesetz. Das des Todes. Der Sensenmann hatte sein Erbe hinterlassen, unsichtbar schwebte er zwischen den Wänden.
    Sie brauchten mit ihrer Last nur wenige Schritte zu gehen, um Julia in den Sarg legen zu können. Der Deckel lag neben dem Unterteil, das nicht ausgepolstert war. Wer kein Geld besaß, der wurde auch entsprechend beerdigt. Man legte ihn in die rauhe Totenkiste, klappte den Deckel darüber – fertig.
    Julia trug ein Leichenhemd. Auch dieses Gewand bestand aus dem billigsten Stoff, der aufzutreiben gewesen war. Man hatte das Hemd nur flüchtig zusammengenäht. Der Stoff würde sehr bald verwesen, vielleicht noch schneller als der Körper.
    Julia bekam alles mit.
    Wieder »schrie« sie. Es waren Schreie, die nur sie hörte, die in ihrem Kopf nahezu explodierten. Man hatte nicht einmal ihre Augen geschlossen. Weit standen sie offen und blickten durch das Fenster in den dämmrigen Tag.
    Ein typischer Novembertag. Grau, düster, mit Nieselregen durchsetzt, der aus tiefhängenden Wolken fiel. Alles war feucht und klamm. Blätter torkelten traurig dem Erdboden entgegen. Manche Bäume waren schon kahl, andere besaßen noch ihr buntes Laub. An
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