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05 - Der Conquistador

05 - Der Conquistador

Titel: 05 - Der Conquistador
Autoren: Manfred Weinland
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gestellt.
    Tom musste unwillkürlich grinsen. Alle, die darüber erstaunt waren, »wie gut er sich doch gehalten habe«, ahnten nicht ansatzweise, was wirklich dahintersteckte. Und so soll es auch bleiben. Er wollte sich gar nicht ausmalen, welche Begehrlichkeiten er sonst in den Menschen wecken würde – mit fatalen Folgen.
    Der Weiße Ritter, rief er sich in Erinnerung. Ob er etwas mit dem »Mann in Weiß« zu tun hat? Der sah zwar nicht wie ein Ritter aus, eher wie ein nobler Hazienda-Besitzer, aber die Parallele war offensichtlich. Seit er in dem Bericht auf diese mysteriöse Figur gestoßen war, versuchte Toms Verstand, einen Zusammenhang herzustellen. Aber fast 500 Jahre zwischen beiden Erscheinungen …?
    Er seufzte abermals und quälte sich aus dem rustikalen Bett. Eine Dusche gab es nicht, zumindest nicht in erreichbarer Nähe. Dafür standen eine Porzellanschüssel und ein mit Wasser gefüllter Krug bereit. Außerdem hatte Maria Luisa ihm noch Waschlappen, Handtuch und Seife bereitgelegt, als sie ihm das Zimmer für die Nacht hergerichtet hatte.
    Tom war nicht anspruchsvoll. Er hatte schon mit weit weniger auskommen müssen.
    Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, warf er einen Blick aus dem einzigen Fenster der Stube. Bei ihrer Ankunft hatte er draußen nichts erkennen können. Jetzt aber war heller Tag, und ihm wurde klar, dass dies sicherlich keine bevorzugte Wohnlage war. Das Zimmer lag nach hinten hinaus, aber dort gab es kein Gartenidyll oder gepflegten Hinterhof-Charme. Als Tom das Fenster öffnete, um frische Luft hereinzulassen, drangen Babygeschrei und Hundegebell zu ihm herein. Zusammen mit einem verführerischen Duft nach frischem Kaffee.
    Aus dem darunterliegenden Fenster, das wahrscheinlich zur Küche gehörte, drang das Klappern von Besteck und Geschirr; ab und zu schlug auch eine Schranktür.
    Señora Carlota ist schon emsig am Werk, dachte Tom. Er hatte enormen Respekt vor der blinden alten Dame, die trotz ihres Handicaps den Alltag mit ungebrochener Lebensfreude meisterte. Diesen Charakterzug schien auch Maria Luisa geerbt zu haben. Tom lächelte beim Gedanken an die junge Frau, die sich so aufopferungsvoll um ihren Bruder kümmerte.
    Während er den Blick über die Umgebung schweifen ließ, tastete Toms Hand unbewusst nach dem Lederbeutel an seinem Gürtel. Das Artefakt darin war deutlich spürbar, obwohl es so gut wie nichts wog.
    Tom holte den geheimnisvollen Gegenstand heraus. Sofort bildete sich ein Dunkelfeld, das mit Blicken nicht zu durchdringen war.
    »Wenn ich nur wüsste, was es mit dir auf sich hat«, murmelte der Archäologe. »Wofür du nütze bist, dass Menschen bereit sind, deinetwegen zu morden …«
    Da ertönte ein Klopfen an der Tür, dazu Carlotas Stimme: »Sind Sie schon wach? Ich habe ein kleines Frühstück vorbereitet.«
    »Kommen Sie ruhig herein. Ich bin schon angezogen.«
    »Schade«, hörte er sie erwidern. Obwohl es für die Blinde keinen Unterschied gemacht hätte.
    Die Tür ging auf und die alte Dame trat ein. Lächelnd trat Tom ihr entgegen. »Guten Morgen, Señora! Ich wollte Ihnen noch –«
    Weiter kam er nicht. Die Großmutter von Maria Luisa und Alejandro war wie angewurzelt stehen geblieben, die trüben Augen und den Mund entgeistert aufgerissen. Bevor sie Unverständliches zu stammeln und hysterisch zu lachen begann.
    Carlota Zafón wusste noch, wie die Welt aussah. Sie war nicht blind geboren. Trotzdem war es eine Ewigkeit her, seit sie sich sehend in ihren vier Wänden orientiert hatte. Vor etwa zehn Jahren hatte ihr eine Krankheit das Augenlicht geraubt – kurz nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes. Trotz dieses doppelten Schicksalsschlags verlor Carlota nicht ihren Glauben. Die Wege des Herrn waren nun einmal unergründlich. In diesem Bewusstsein war sie aufgewachsen, und so hatte sie auch ihre eigenen Kinder erzogen.
    Sie hatte sich in ihr Schicksal gefügt. Was blieb ihr auch anderes übrig?
    Umso unvorbereiteter traf es sie, als sie ins Zimmer von Tom Ericson trat – und als vor ihr, in der immerwährenden Dunkelheit, ein Stern aufging …
    »Carlota … Kann ich Ihnen helfen? Geht es Ihnen nicht gut?«
    Das Verhalten der alten Dame verunsicherte Tom. Mit der freien Hand berührte er ihren dürren Arm. Im gleichen Moment hörte sie endlich auf zu lachen.
    Tom bekam eine Gänsehaut, als er dem Blick ihrer blinden Augen folgte. Er hätte schwören können, dass sie exakt auf das Artefakt gerichtet waren.
    »Ehrlich gesagt, ich
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