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05 - Der Conquistador

05 - Der Conquistador

Titel: 05 - Der Conquistador
Autoren: Manfred Weinland
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Lust, ein paar Schritte mit ihm zu gehen.
    Er schloss die Kladde, legte sie in einen flachen Bastkorb und deckte zur Tarnung benutzte Handtücher darüber, so wie er es sich angewöhnt hatte. Wenig später trat er, in eine Windjacke gehüllt, aus dem Wohnwagen und streckte sich.
    Der Himmel war verhangen, Regen drohte. Der Feind aller Schausteller.
    Tom wünschte ihnen und sich selbst ein wenig Sonnenschein. Er trat auf den Rundweg, der einmal um den ganzen Jahrmarkt und an jeder einzelnen Attraktion vorbei führte.
    Es waren nur wenige Besucher unterwegs, was nicht nur am Wetter lag, sondern auch daran, dass den Leuten das Geld nicht mehr so locker saß wie in früheren Zeiten. Spanien gehörte zu den wirtschaftlich krisengeschüttelten Ländern. Das Geld, das auf Volksfesten ausgegeben wurde, musste erst einmal verdient werden.
    Um seinen Mund bildete sich ein Lächeln, als Maria Luisas Anblick im Kassenhäuschen einer Berg- und Tal-Bahn seine schwermütigen Gedanken verscheuchte.
    »Maria!«
    »Maria Luisa!« Mehr brauchte sie nicht zu sagen, um sein Lächeln noch zu vertiefen.
    »Kann jemand kurz für dich einspringen?«, fragte er. »Ich will mir ein wenig die Beine vertreten. Und es gibt Neuigkeiten … keine guten, wie ich zugeben muss.«
    Sie schreckte auf. »Ist etwas mit Alejandro?« Sie dachte immer zuerst an ihren Bruder.
    »Nein«, beruhigte er sie. »Ich meine das, was in der Kladde steht. Alles ergibt jetzt ein rundes Bild. Aber es ist eher ein Schreckensgemälde, zu dem das hier …«, er klopfte gegen den Lederbeutel an seinem Gürtel, »…  der Schlüssel zu sein scheint.«
    »Der Schlüssel zu etwas Schrecklichem?«
    Tom nickte.
    Plötzlich schaute Maria Luisa über ihn hinweg. Erst nur abgelenkt, dann mit deutlich sichtbarer Sorge.
    »Was ist?« Er drehte sich um. Über den Ständen stieg Rauch auf. Genau in der Richtung, aus der er gerade gekommen war!
    »Ich schau mal nach …« Ohne ihre Antwort abzuwarten, lief er bereits los.
    Schon von weitem sah er seine schlimmste Befürchtung bestätigt: Aus dem Wohnwagen, in dem er gerade noch gesessen hatte, schlugen Flammen und quoll schwarzer Rauch hervor. Wie zum Teufel hatte das passieren können? Hatte er den Gasbrenner nicht ausgemacht, bevor er den Wagen verließ? Er konnte sich nicht erinnern.
    »Feuer!«, klang es ihm aus verschiedenen Richtungen entgegen.
    Die Kladde! Auch wenn er ihren Inhalt jetzt kannte, wollte er nicht zulassen, dass sie ein Raub der Flammen wurde! Dafür war sie viel zu wertvoll für die Historiker.
    Ungeachtet der Gefahr für Leib und Leben bahnte er sich den Weg an Menschen vorbei, die damit beschäftigt waren, etwas zu unternehmen, um den Brand zu löschen, vor allem aber ein Übergreifen auf andere Wagen oder Stände zu verhindern.
    Tom musste Hände abschütteln, die ihn daran hindern wollten, in den Wagen zu gelangen. Dann war er drinnen und versuchte die dichten Rauchschwaden mit Blicken zu durchdringen.
    Mit angehaltenem Atem tastete er sich zu dem Tischchen vor, an dem er gearbeitet hatte. Als er dort ankam, sah er, dass die Handtücher in dem Bastkorb daneben Feuer gefangen hatten. Und hier lag offensichtlich auch die Ursache des Brandes: Der Zipfel eines der Tücher war gegen die Abdeckung des Gasofens gesunken und hatte sich entzündet! Tom packte sie einzeln den noch unversehrten Enden und schleuderte sie aus dem Korb – wodurch noch mehr Brandnester entstanden. Aber darauf achtete er in diesen Sekunden nicht; es ging ihm allein um die Rettung des einzigartigen Dokuments.
    Als er endlich nach der Kladde greifen konnte, merkte er, dass sie sich der Ledereinband unter der Hitze bereits verbogen hatte. Nicht mehr lange, und die staubtrockenen Pergamentblätter dazwischen wären ein Raub der Flammen geworden.
    Tom schob sich die Kladde unters Hemd und machte, dass er ins Freie kam.
    Draußen musste er einiges an Vorhaltungen über sich ergehen lassen. Niemand, der ihn beobachtet hatte, brachte Verständnis dafür auf, dass er eines Buches wegen sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte.
    »Tom!« Maria Luisa tauchte neben ihm auf. »Tom! Alles in Ordnung? Warum –« Dann sah sie den von ihm geretteten Schatz. Unmut kerbte sich auch um ihre Mundwinkel. Gefolgt von einem anderen, fragenden Ausdruck. »Was ist das?«
    Er sah sie irritiert an. »Na, die Kladde.«
    »Nein, ich meine das da … am Einband!«
    Tom hatte schon gesehen, dass das Leder von der Hitze in Mitleidenschaft gezogen worden war. Aber erst jetzt
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