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0494 - Fenrirs Wacht

0494 - Fenrirs Wacht

Titel: 0494 - Fenrirs Wacht
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Einsamkeit gezwungen hatte, war gebrochen; sie hätte sich durchaus wieder unter Menschen wagen können. Aber im Laufe von zwanzig Jahren hatte sie sich an das Alleinsein gewöhnt. Es würde ihr schwerfallen, wieder ständig mit anderen Menschen zusammenzusein -und wenn es nur die Nachbarn waren, durch einen Zaun oder eine dichte Hecke von ihr getrennt. Außerdem war sie ja nicht wirklich allein - Fenrir wohnte bei ihr. Von ihrer Waldhütte aus unternahm er seine Streifzüge. Er mochte Naomi. Nicht umsonst war er seit einem Dreivierteljahr ständig bei ihr. Von Professor Zamorra wußte Naomi, daß der graue Pelzträger eigentlich so etwas wie ein Weltenbummler war. Er hatte nicht nur im Château Montagne »Wohnrecht«, sondern auch in der unsichtbaren Burg des Zauberers Merlin in Wales, sowie in der Hütte des Silbermond-Druiden Gryf auf der Insel Anglesey. Von dort aus hatte er früher die Druiden Gryf und Teri bei ihren Abenteuern begleitet.
    Was es mit all diesen Personen auf sich hatte, war Naomi Varese nicht völlig klar; sie kannte sie nur aus den Erzählungen des Professors, und der war auch alles andere als ein Stammgast in ihrer Eremitenhütte. Aber ihr war klar, daß der Wolf das alles aufgegeben hatte, um bei ihr zu sein.
    Sie bedauerte, sich nicht besser mit ihm verständigen zu können. Sie war keine Telepathin. Fenrir konnte ihre Gedanken lesen, sie aber nicht seine. Sie konnte nur sein Verhalten interpretieren, seine Reaktionen auf ihre Gedanken und Worte, auf ihr Tun. Natürlich hatte sie rasch gelernt, auf diese nonverbale Art mit ihm zu kommunizieren. Aber es gab dennoch bestimmte Schwierigkeiten, die sich nicht überbrücken ließen.
    »Fenrir?« wiederholte sie ihren Ruf. Mehrmals, damit er Gelegenheit hatte, ihre Gedankenspur aufzunehmen. Sie fühlte, daß etwas nicht stimmte. Ihre Welt war aus den Fugen geraten. Aber sie kannte den Grund dafür nicht. Sie wußte nicht, was geschehen war. Aber auf einer Ebene, die ihr selbst fremd war, erfaßte sie die Unruhe des Wolfes.
    Plötzlich sah sie den grauen Vierbeiner zwischen dem Strauchwerk auf die kleine Lichtung hervortreten, auf der ihre Hütte stand. Seine Augen funkelten gelblich, als das Mondlicht sie traf. Das Maul war halb geöffnet, und er knurrte verhalten.
    Naomi fühlte, wie es ihr kalt über den Rücken lief.
    Was sie sah, war unmöglich.
    Der Wolf, der ihr gegenüberstand, nur ein Dutzend Meter von ihr entfernt, war nicht Fenrir!
    ***
    »Hört ihr das?« stieß Pierre Moreau hervor.
    »Ein Köter«, sagte Roland trocken. »Heult den Mond an. Na und?«
    »Das ist kein Hund«, sagte Moreau leise.
    Im Lokal war es still geworden. Auf leisen Sohlen ging André zur Tür und öffnete sie. Jetzt hörten sie es alle.
    »Das ist kein Hund«, sagte auch Mostache. »Und es ist ziemlich nahe.« Moreau warf einen Geldschein auf die Theke. »Das Biest schnappe ich mir«, stieß er hervor.
    »He, wie willst du denn das machen?« fragte André.
    »Ich hole mein Gewehr und knalle das Biest ab!«
    »Du bist ja völlig verdreht«, stellte André fest. »Erstens: wie willst du ihn finden? Du siehst ihn ja gar nicht, hörst ihn nur. Zweiténs: wie willst du ihn treffen? Bis du deinen Bärentöter vom Dachboden gekramt hast, siehst du das Wölfehen schon nicht mehr doppelt, sondern vierfach, nach dem Cognac, den du eben gekippt hast.«
    Moreau murmelte eine Verwünschung. Er stürmte an André vorbei, noch sehr sicher auf den Beinen, weil der Cognac sich in seinem Blut erst verteilen mußte, um ins Hirn zu steigen. André und Roland, der ebenfalls aufgesprungen war, sahen Mostache ratlos an. Der nickte; er würde ihre Zeche später abkassieren und den Betrag erst einmal auf den Deckel schreiben. Wichtiger war, daß ein paar Leute, die noch einigermaßen klar denken konnten, weil sie wesentlich weniger Alkohol getrunken hatten, Moreau vor einer Dummheit bewahrten.
    Die beiden Männer eilten ihm nach. Aber Moreau legte ein derartiges Tempo vor, daß sie ihn nicht mehr erreichten, ehe er in dem Haus verschwand, in dem seine Frau und er wohnten.
    André starrte Roland an. Das für ihn typische Lachen war ihm längst vergangen.
    »Was jetzt? Sturm klingeln?«
    Roland preßte die Lippen zusammen. Er schüttelte nach einigem Nachdenken den Kopf. »War doch eben alles dunkel oben«, sagte er. »Wir reißen höchstens Jeanette aus dem Schlaf. Und wofür? Mit ziemlicher Sicherheit klappt Pierre doch weg, sobald er in der Wohnung ist. Der Junge verträgt doch nix.
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