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047 - Die letzten Tage von Riverside

047 - Die letzten Tage von Riverside

Titel: 047 - Die letzten Tage von Riverside
Autoren: Jo Zybell
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telefonierten fast jeden zweiten Tag seit Jahresbeginn. »Niemand spricht es aus, aber jeder weiß, dass man für ihn keine Trauerfeier abhalten wird. Ein Mord wird schon fast als natürliche Todesart betrachtet.«
    »Wie geht es Kathleen und Colin?«, wollte Matt wissen.
    »Miserabel. Kathleen liegt noch immer in der Psychiatrie, und Colin ist selten nüchtern. Sie haben ihn vom Polizeidienst suspendiert. Wir haben eine Bürgerwehr gegründet. Deine Mutter und ein paar Frauen aus der Stadtregierung hatten die Idee…«
    »Mom?« Matt schien genauso verblüfft, wie Simon selbst es gewesen war, als Eve ihm die Idee vorgeschlagen hatte.
    »Du hast richtig gehört. Eine Woche nach Ginas Beerdigung. Der Verein hat inzwischen über dreitausend Mitglieder, stell dir das vor, Matt! Vor zehn Tagen erst haben wir die Townsfolk-Guard gegründet, und schon dreitausend Mitglieder! Tag für Tag, Stunde für Stunde patrouillieren hundertzwanzig bewaffnete Bürger durch die Straßen Riversides. Colin wurde zum Vorsitzenden gewählt und ich zu seinem Stellvertreter.«
    »Und die Cops?«
    »Sind froh, wenn jemand den Kopf für sie hinhält.« Simon stieß ein bitteres Lachen aus.
    »Über die Hälfte aller Polizisten im Riversideund San Bernardino-County erscheint sowieso nicht mehr zum Dienst. Dauersuff, Flucht oder Selbstmord. Der jämmerliche Rest ist heillos überfordert. Letzte Woche hatten wir allein in Riverside zweihundertzehn Plünderungen, siebenundzwanzig Vergewaltigungen und achtzehn Morde.«
    »Es ist überall dasselbe«, stöhnte Matthew.
    »Die menschliche Gesellschaft geht vor die Hunde.«
    »Und in vierundzwanzig Tagen wird der Komet weiter nichts als unser Totengräber sein. Was von uns übrig bleibt, wird er entsorgen. Ein globales Krematorium.«
    »Du klingst zynisch, Dad. Aber vielleicht hast du Recht. Hast du von Bunkern gehört?«
    Matt senkte die Stimme.
    »Ich weiß nur von den Geschehnissen in New York City.« In der Ostküstenmetropole hatte sich eine Bürgerbewegung aus der Unterschicht formiert. Sie bekämpfte angebliche Regierungspläne, wonach ausgewählte Funktionäre in Bunkern Zuflucht vor dem Kometen erhalten sollten. »Die Nachrichten aus New York klingen verdammt nach Bürgerkrieg.«
    »Ich vermute, dass die Regierungen vieler Staaten solche Bunker für die Eliten ihrer Gesellschaften bauen«, sagte Matt. »Heimlich natürlich; niemand spricht darüber. Und ich weiß, dass sie den Kometen mit Interkontinentalraketen beschießen werden…«
    Sie diskutierten die Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens. Weder Vater noch Sohn konnten noch allzu viel Optimismus aufbringen. Ein in viele Teile zertrümmerter Komet würde unter Umständen noch größeren Schaden anrichten als ein einziger Brocken. Andererseits: Wenn man durch einen Nuklear- Beschuss »Christopher-Floyds« das Ausein- anderbrechen der Erde verhindern und so die Überlebenschancen der menschlichen Gattung steigern konnte…
    »Eins noch, Matt - ich hab einen Tresor angeschafft. Er steht im Keller. Da liegen jetzt die wichtigsten Familiendokumente drin. Und sonst noch ein paar Dinge, die ich wichtig fand. Nur für den Fall, dass du…« Simon suchte nach Worten. »… dass es vielleicht doch irgendwie weiter geht.«
    »Schon klär, Dad.« Heiser und leise war Matts Stimme plötzlich.
    »Pass auf dich auf, mein Sohn«, beendete Simon das Gespräch. »Ich geb dich an deine Mutter weiter.« Er stand auf, ging in die Küche und reichte Eve das Telefon. Aus dem Radio klang ein Lied von ABBA; Simon traute seinen Ohren kaum.
    »Matt, Liebling!«, hörte er Eve noch sagen.
    »Gott, bin ich froh, deine Stimme noch mal zu hören…« Dann schloss er die Tür zum Kellerabgang hinter sich und stieg die Stufen hinunter.
    ... deine Stimme noch mal zu hören... Die verhärtete Stelle hinter seinem Brustbein schmerzte. Ein Schmerz von seltener Heftigkeit. Simon blieb stehen, lehnte gegen die kalte Wand und wischte sich eine Träne aus den Augen.
    Ja, er hatte sich abgefunden mit dem nahen Ende. Doch manchmal bäumte sich wilder Lebenswille in ihm auf, und die Liebe zu dem, was sein Leben ausmachte, erfüllte ihn mit schier unerträglichem Brennen.
    Der Tresor stand offen. Daneben eine Holzkiste mit Dokumenten und Gegenständen, die er in den letzten Tagen aussortiert hatte: das Original seiner Fluglizenz; ein Orden, den er sich im ersten Golfkrieg verdient hatte; das Zertifikat, mit dem ihm die Army einst seine Beförderung zum Captain mitgeteilt
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