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0435 - Mörder bitten nie um Gnade

0435 - Mörder bitten nie um Gnade

Titel: 0435 - Mörder bitten nie um Gnade
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mir- Ich klebte am Eisen und klammerte mich fest. Die Hände schmerzten.
    Ich stieg langsam weiter. Der Wind warf mich hin und her. Das Mauerwerk war hier oben arg verwittert. Die Steigeisen wurden dünner. Man mußte Angst haben, sie würden beim Besteigen abbrechen.
    Plötzlich ragte über mir nur noch eine Stange in den Himmel, eine verkrustete dünne Stange: der Blitzableiter. Ich hatte die Krone erreicht.
    Und wo war Shefferman?
    Die obersten Steine des Kamins waren locker, die Steigeisen rutschten hin und her. Ich preßte mich gegen das schwarze Mauerwerk. Von Shefferman war nichts zu sehen. Ich hatte das Gefühl, im nächsten Augenblick hinunterzustürzen. Der Schornstein schwankte leicht. Der Wind machte mir zu schaffen. Die Knie zitterten. Mein Atem flog. Ich beugte mich über den Schornsteinrand, der voller harter rissiger Flugasche war, die, der Wetterseite entgegengesetzt, wie eine Schneewächte über dem Mauerwerk hing. Ich fühlte mich elend hier oben.
    Plötzlich gab ein Eisen unter meinen Füßen nach. Der Schreck fuhr durch meine Glieder. Ich glaube, mir wurde schwarz vor den Augen. Ich durfte nicht an da unten denken, an die Menschen, die vielleicht nur noch wie Ameisen aussehen würden.
    Ich blickte in das Innere des Kamins. Ein finsteres Loch gähnte mir entgegen. Aber ich sah, daß auch innen ein Steiggang hinabführte.
    Ich rief: »Shefferman!« Denn ich sah nichts, nur das schwarze tiefe Loch.
    In diesem Augenblick pfiff auch schon die Kugel an mir vorbei. Ich glaube, ich war so erschrocken, daß ich noch nicht einmal eine Bewegung machte. Eine Bewegung, die mich allzu leicht hier hätte herunterwerfen können. Und ich wunderte mich, daß Shefferman nicht nochmals schoß.
    Dann hörte ich es aus dem Schornsteinloch heraufklirren, so, als klettere Shefferman den Steiggang weiter hinab- Ich rief wieder Sheffermans Namen. Er gab keine Antwort. Ich sah auf die verkrustete Flugasche, die ringsum das Mauerwerk bedeckte, und überlegte. Sollte ich hinterher steigen? Irgendwie mußte ich den Gangster hier aus dem Schornstein herausbekommen.
    »Shefferman!« rief ich. »Ich höre dich. Ich weiß, wo du stehst. Ich brauche nur am Steiggang entlangzuzielen. Du weißt, ich treffe bestimmt. Gib endlich auf. Das ganze Fabrikgelände wimmelt von FBI-Agenten und Polizei.«
    »Halt das Maul, Cotton!« schrie er. Die Stimme klang grollend aus der Tiefe herauf. »Ich hätte dich gleich heute kaltstellen sollen.«
    »Es ist dir nicht geglückt, Shefferman. Es glückt dir überhaupt nichts mehr. Gib endlich auf. Du machst deine Situation mit jedem Schuß, den du abfeuerst, nur noch schlimmer.«
    »Ach, zum Teufel, mit dem Schießeisen. Ich hätte dich längst abschießen können. Ich sehe dich nämlich genau, Cotton.«
    Ich hörte plötzlich ein helles sirrendes Pfeifen. Sekunden später schlug etwas auf. Die Schornsteinröhre brachte die Geräusche deutlich hier herauf.
    Auch Sheffermans Keuchen hörte ich. Ich vernahm es in den Windpausen, denn der Sturm zerrte noch immer an meinen Kleidern, die naß am Körper klebten. Ich fror und wünschte schnell wieder hier herunter zu können. Die Finger waren starr vor nasser Kälte.
    »Komm rauf, ich weiß, du hast keine Kugeln mehr, Shefferman«, rief ich. »Es ist vorbei. Sieh es endlich ein!«
    »Wenn du was von mir willst, dann komm mich doch holen. Du kannst doch sonst alles. Vielleicht läßt du es auf einen Kampf hier unten ankommen, G-man!«
    Seine Stimme klang scheußlich. Der Schornstein verstärkte sie, und das ließ mich zusätzlich frieren.
    »Jetzt schweigst du, G-man! Hast du Angst? Siehst du, das wußte ich. Hier holt mich keiner weg.«
    »Wie lange willst du dort bleiben? Irgendwann mußt du doch einmal runter, Shefferman.«
    »Ich, G-man, ich nicht. Ich fahr von hier gleich zur Hölle. Wie ist es, willst du nicht mit?«
    Er mußte wahnsinnig sein. Aber ich wußte keine Möglichkeit, ihn zum Absteigen zu bewegen.
    »Du hast keine Chance, Shefferman, du entkommst nicht mehr. Du hast einfach keine Möglichkeit mehr.«
    »Bis du unten bist, bin ich lange weg«, lachte er. »Ich bin schon auf halber Höhe, Cotton, so schnell kannst du nicht klettern. Und dann findest du mich nicht mehr.«
    »Du bist verrückt, Shefferman, die Fabrik ist umstellt. Und wenn wir alles durchkämmen müssen, wir finden dich. Steig ab und stell dich!«
    Er gab mir keine Antwort.
    Der Wind drückte den Schornstein hin und her. Ich spürte deutlich das Schwanken des Mauerwerks,
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