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0330 - Die lebende Legende

0330 - Die lebende Legende

Titel: 0330 - Die lebende Legende
Autoren: Jason Dark
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direkter Linie auf das Kloster zu. Das Tal war tatsächlich sehr weit. Die Berge, die es einrahmten, sahen blaß aus.
    Wir zogen nach wie vor eine Staubfahne hinter uns her, aber die Luft kam mir besser vor. Sie war klarer und ein wenig kühler.
    »Wasser gibt es hier genug«, erklärte mir Yakup. »Es gibt zwar keinen Fluß, den wir sehen, aber unter der Erde tut sich einiges. Die Mönche haben Brunnen gebohrt und das Wasser in die angelegten Kanäle geleitet.«
    »Wo kommt das Wasser her?« fragte ich.
    »Aus den Rockies.«
    Wir hatten bereits das Gelände des Klosters erreicht. Rechts und links von uns lagen die Felder, auf denen Weizen, Mais und Gerste wuchs.
    Die Halme wiegten sich im Wind, der über sie hinwegstrich und das angebaute Getreide wie ein Meer wirken ließ. Geerntet war noch nicht, aber wir sahen einen gewaltigen Mähdrescher aus dem Korn ragen.
    Genau dort, wo die Felder aufhörten.
    Da stoppte Yakup auch.
    Als ich den Chevi verlassen hatte, reckte ich mich, denn das lange Sitzen hatte mich steif gemacht. Die klare Gebirgsluft war Balsam für meine Lungen, kein Staub mehr und keine Abgase. Am liebsten hätte ich sechs Nasenlöcher gehabt.
    Yakup hämmerte die Tür zu. Dieses Geräusch klang in der Stille doppelt laut, und ich wunderte mich, daß niemand zur Begrüßung erschienen war. Das sagte ich auch.
    »Die Mönche werden im Kloster arbeiten.«
    »Bist du da sicher?«
    Yakup schaute mich an und hob die Schultern. Also war er es nicht.
    Ich sah seinen besorgten Blick und fragte ihn: »Stimmt etwas nicht?«
    Er wiegte den Kopf. »Das kann man nicht so sagen. Aber irgend etwas ist anders.«
    »Und was?«
    »Keine Ahnung. Oder doch. Die Stille.«
    Ich hob die Augenbrauen.
    »Ja, die Stille. Hörst du die Vögel? Nein. Ich sehe auch keine Menschen. Der Mähdrescher steht verlassen. Es kümmert sich niemand um ihn. Das Korn ist hoch…« Seine Stimme versiegte.
    Ich ahnte, daß er einen bösen Verdacht hegte, sagte aber nichts, sondern schaute mich ebenfalls um.
    Dort wo wir den Wagen abgestellt hatten, hörte das Feld auf. In der Nähe stand eine kleine Hütte. Die Tür war offen. In der Hütte lagerten Ackergeräte. Ein Weg führte zu den Wiesen und den manchmal dicht zusammenstehenden Bäumen. Die große Grünfläche, die gartenartig angelegt war, reichte bis vor die Mauern.
    »Man müßte auch die Vögel hören«, flüsterte der junge Türke. Er hatte sich mittlerweile bewaffnet. Seinen Bogen trug er über der Schulter, den Köcher auf dem Rücken. Aus ihm schauten die Schäfte der Pfeile. Es waren ein Dutzend. Die Nunchaki hatte er an seinem breiten Gürtel befestigt, der auch die Jeans hielt.
    »Du hast den Verdacht, daß etwas passiert ist«, sprach ich ihn an.
    »Das kann sein.«
    »Sehen wir nach.«
    Yakup schüttelte den Kopf. »Nicht so eilig. Dieses Kloster war immer ein Ort der Ruhe. Wir sollten keine Hektik hineintragen und müssen systematisch vorgehen.« Yakups Stimme zitterte leicht.
    Ich spürte, daß mit ihm eine Veränderung vorgegangen war. Er kam mir vor wie ein gespannter Jäger, der gleichzeitig unsicher war, weil er Schlimmes befürchtete.
    Knallheiß schickte die Sonne ihre Strahlen in das Hochtal. Sie brannte auf unsere Köpfe. Zum Glück war es nicht schwül. Ich griff den Vorschlag meines türkischen Freundes auf und machte mich an die Untersuchung der näheren Umgebung.
    Zunächst sah ich mir den Mähdrescher an.
    Er stand da wie ein Gigant aus Stahl. Ein totes Wesen, das mir auf einmal unheimlich vorkam. In seinen gewaltigen Walzen oder Rädern hing noch das Korn. Die Halme sahen aus wie dünne Arme, die sich zitternd im Wind bewegten.
    Yakup war stehengeblieben. Bevor ich den Mäher genauer untersuchte, schaute ich noch einmal zurück. Der Türke hatte sich vorgebeugt. Er witterte.
    »Was ist?« fragte ich ihn.
    »Es riecht wie Blut«, lautete seine Antwort. »Wie kochendes Blut. Das Grauen hat Einzug gehalten.«
    Bei seinen Worten rann mir trotz der Hitze eine Gänsehaut über den Rücken.
    Wie kochendes Blut!
    Ein schlimmer Vergleich, den ich Sekunden später bestätigt bekam, als ich das Grauenvolle entdeckte.
    Der Tote lag dort, wo die Walzen aufhörten und die Räder begannen.
    Das Gras hatte ihn bisher verdeckt gehabt.
    Er lag auf dem Rücken. Seine Augen waren gebrochen, der Körper zeigte Wunden.
    Ich winkte Yakup herbei.
    Schnell war er da, blieb neben mir stehen und wurde blaß. Ich beobachtete ihn genau. Auf seiner Stirn lag der kalte Schweiß. Obwohl seine
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