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0278 - Tupilak, das Schneemonster

0278 - Tupilak, das Schneemonster

Titel: 0278 - Tupilak, das Schneemonster
Autoren: Werner Kurt Giesa
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versetzen, um die Gedanken Andars lesen zu können. Zumindest vermochte er sie oberflächlich zu lesen.
    Andar wollte überall nachforschen lassen, wollte die anderen Stämme in ihren Sommerlagern warnen. Er wollte auch die Kinder nicht ins Schneedorf zurückkehren lassen; sie sollten in der Sommerschule bleiben, bis die Gefahr vorüber war. Es bestand die Möglichkeit, sie dort übernachten zu lassen. Das war gut.
    Shinan hatte nichts dagegen einzuwenden. Immerhin waren es die Kinder seines Stammes, und auch die beiden Opfer des Tupilak gehörten zu seinem Stamm. Aber es war ihm egal. Opfer mußten gebracht werden.
    Nur die versprochene Unsterblichkeit für ihn und die Macht zählten, sonst nichts.
    Shinan war gefühllos. Er sah nur seinen eigenen Vorteil und war stets bemüht, ihn zu wahren. So auch jetzt, als er beschloß, Andar auszuschalten.
    Mit seinem erwachten Mißtrauen konnte der Häuptling ihm gefährlich werden. Andar brauchte bloß weiterzudenken… und wenn er dann seine Gedanken in Worte kleidete, konnte es sehr rasch um den Schamanen geschehen sein.
    Denn die Zeiten waren inzwischen zu modern geworden. Früher wäre es unmöglich gewesen, daß sich ein Inuk am Angakok vergriff. Aber heute zweifelten viele, und vielleicht würden Angst, Haß und Zorn stärker sein als die Furcht vor der Rache der Geister, und wenn sie sich durch den Tupilak bedroht fühlten, erschlugen sie Shinan!
    Denn es bestand sehr wohl ein Zusammenhang zwischen dem unheimlichen Besucher und dem Rächer. Und er, Shinan, hatte den Tupilak erschaffen und belebt! Wenn Andar das herausfand, wenn er es nur vermutete…
    Andar, der Häuptling, mußte sterben, ehe er seinen Verdacht aussprechen konnte!
    Shinans Gesicht verzerrte sich zur Fratze. In der kommenden Nacht würde der Tupilak ins Dorf kommen!
    ***
    Taun, der Wächter, war müde. Der Tag war anstrengend gewesen, die Nacht währte lang, wenn es auch in diesen Breiten nicht richtig dunkel wurde. Immer wieder fielen ihm die Augen zu. Er stützte sich mühsam auf das langläufige, vorsintflutliche Coltgewehr, das noch während des amerikanischen Bürgerkrieges konstruiert worden war, aber auch heute noch zufriedenstellend seinen Dienst ver sah. Er hatte sich bisher immer auf diese Waffe verlassen können, und er war sicher, daß er es auch in Zukunft getrost tun konnte.
    Woher sollte Taun wissen, daß es für ihn keine Zukunft mehr gab?
    Er machte seine Runden um das Dorf aus Schneehütten, Iglus, die um den »Dorfplatz« herum gebaut worden waren. Es gab auch einige Hütten, die aus Holz errichtet worden waren. Das Gemeinschaftshaus zum Beispiel. Das waren Bauten, die bei Beginn des Winters wieder abgerissen und auf Schlitten geladen werden würden, wenn der Stamm alten Traditionen nach in wärmere Gefilde zog.
    Sicher, das Klima war hier dicht der Küste nicht so schlimm wie weiter im teilweise noch unerforschten Landesinneren. Dennoch gab es weiter südlich Klimazonen, in denen im Winter nicht so viel Schnee fiel. Aber hier oben gab es die Sommerschule für die Kinder, die ja schließlich auch etwas lernen mußten.
    Es war nicht so, daß es Taun gefiel. Früher, da wurde den Kindern alles nötige Wissen von den Eltern übermittelt. Fischfang, Rentierjagd, Rentierzucht, Häuserbau, Überleben. Heute wurden sie per Gesetz in große Schulen geschickt, wo man ihnen Dinge wie höhere Mathematik, Politik und Fußball beibrachte. Tauns Sohn war kürzlich mit dem Wunsch aus der Schule zurückgekehrt, sein Vater möge ihm doch einen Computer schenken.
    Taun schüttelte sich. Ein Stück Plastik und Metall mit einer Glasscheibe und leuchtenden Zahlen dahinter, und dieses einfache, dünne Stück Metall konnte besser rechnen als jeder andere im Dorf! Unfaßbar. Taun verließ sich lieber auf sein Gewehr. Damit konnte er Eisbären und Seehunde schießen, wenn er und seine Familie Hunger verspürten oder die Felle benötigten. Das Gewehr war zuverlässiger als ein Computer. Der konnte ihm nämlich trotz allem nicht berechnen, wo sich der nächste Eisbär aufhielt. Das konnte ihm nur seine Nase sagen, sein Gespür.
    In dieser Nacht ließ es ihn im Stich.
    Er war zu müde, um auf die warnende Stimme in seinem Inneren zu hören. Er ging um das Dorf, zog seinen weiten Kreis in seiner eigenen Spur im festgetretenen Schnee, und döste im Gehen vor sich hin. Sicher, da war die Bedrohung durch den Tupilak. Aber er redete sich ein, daß er diesen rechtzeitig erkennen würde. Das Ungeheuer, das es
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