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0278 - Tupilak, das Schneemonster

0278 - Tupilak, das Schneemonster

Titel: 0278 - Tupilak, das Schneemonster
Autoren: Werner Kurt Giesa
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der diese beiden Männer tötete«, behauptete Naugor. »Schaut euch die Verletzungen an. Es kann nur ein Ungeheuer gewesen sein.«
    »Aber was für ein Ungeheuer?« fragte Andar, der Häuptling des Dorfes.
    »Es gibt hier weit und breit kein Ungeheuer. Woher sollte es kommen? Es gibt Polarfüchse, Eisbären, Rentiere und Fische und sonst nichts. Hin und wieder ein paar Vögel im Sommer. Die Zeit der Ungeheuer ist vorbei wie die Zeit der Märchen und der Träume. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: wir leben in einer modernen Zeit, in der es keinen Platz mehr gibt für Dinge wie Ungeheuer, Trolle und Zauberer.«
    »Leugnest du etwa auch die Geister?« fragte eine dunkle Stimme hinter dem Häuptling. Er fuhr herum und starrte den Sprecher an. Shinan, der Schamane, war lautlos hinter ihn getreten und sah ihn unter gesenkten Lidern her finster an.
    Der Häuptling preßte die Lippen zusammen. Hatte er gerade noch große Worte geredet, so kroch er jetzt doch förmlich in sich zusammen.
    Nein, es war nicht zu leugnen, daß es auch in dieser angeblich modernen Welt, die aber an den Innuit weitgehend vorbei ging, die Geister und ihre Macht gab. War der Angakok nicht der lebende Beweis dafür? War es ihm nicht gegeben, in Ekstase mit den Geistern zureden?
    Gäbe es sie nicht, gäbe es auch keinen Schamanen.
    »Sage uns, Angakok, wer diese beiden Männer getötet hat«, krächzte der Häuptling unsicher.
    Der Schamane trat vor. Er starrte die beiden Leichname an. Sein Gesicht blieb unbewegt.
    »Er war es«, flüsterte er.
    »Wer?« Ein lauter Schrei war es.
    »Der Tupilak«, murmelte Shinan düster, wandte sich ab und stapfte mit weit ausgreifenden Schritten davon.
    Andar, der Häuptling, sah ihm bestürzt nach. »Der Tupilak?« echote er. »Aber… aber wer kann ihn gerufen haben? Wer hat ihn zum Leben erweckt? Wer?«
    Naugor stand neben ihm. »Wir haben keine Feinde«, sagte er dumpf.
    »Schon lange nicht mehr. Niemand hat Grund, uns einen Tupilak zu schicken.«
    »Niemand«, wiederholte Andar. »Und doch ist es geschehen. Ja, Naugor. Der Angakok hat Recht. Nur ein Tupilak kann diese beiden Männer getötet haben. Wir werden ihre Familien versorgen müssen.«
    Naugor blinzelte etwas erstaunt, dann aber nickte er. Sicher, sie mußten sich den modernen Zeiten anpassen. Früher war es so, daß Frauen, deren Männer starben, nicht mehr zur Dorfgemeinschaft gehörten, keinen Anspruch mehr hatten. Sie mußten sehen, wie sie sich irgendwie durchs Leben schlugen. Meist starben sie bald. Aber jetzt, im Jahr 1984, wie die Weißen es zählten, war alles anders. Andars Stamm begann sich den Gebräuchen der sogenannten Zivilisation anzupassen.
    »Wir werden sie versorgen. Vielleicht… vielleicht findet sich auch jemand, der sie heiratet…«
    Andar zuckte mit den Schultern. Er dachte an den Tupilak, das Ungeheuer.
    Es würde zurückkehren. »Wir müssen auf der Hut sein. Der Tupilak wird sich nicht mit diesen beiden Opfern zufriedengeben. Wir werden Wachen aufstellen. Wir werden Boten zu den Nachbardörfern entsenden. Ich will wissen, wer einen Grund zu haben glaubt, uns den Rächer zu schicken. Und ich werde mit Shinan reden. Vielleicht weiß er eine Möglichkeit, den Tupilak ins Nichts zurückzusenden oder gegen jenen zu richten, der ihn aussandte.«
    Er suchte den Schamanen in seinem Iglu auf. Aber Shinan machte ihm wenig Hoffnung.
    »Um den Tupilak zurückzusenden oder ihn aufzulösen in das, was er einst war, muß ich wissen, wer ihn entsandte und aus welchem Grund, Häuptling. Ohne dieses Wissen kann ich nichts machen. Die Kraft, welche mir die Geister gaben, macht mich nicht zum Wundertäter. Auch ich unterliege bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die ich nicht zu durchbrechen vermag. Finde heraus, was ich wissen muß, und ich tue, was in meiner Macht steht.«
    »Etwas anderes, Angakok«, wechselte der Häuptling das Thema. »Jener Besucher, den du hattest… wer war das? Dürfen wir es erfahren?«
    »Nein.«
    Andar verließ den Iglu wieder. Schneidender Wind biß in sein Gesicht.
    Gewiß, es war Juni, und die Temperaturen sanken nur noch in den Nächten unter den Gefrierpunkt. Aber dennoch war es kalt. Andar dachte an den Unheimlichen. Der Schwarze auf seinem Pferd war aufgetaucht zu der Zeit, als der Tupilak die beiden Jäger riß. Vielleicht gab es da einen Zusammenhang… ?
    Andar war mißtrauisch geworden!
    ***
    Shinan wußte es, daß der Häuptling Verdacht schöpfte. Und er brauchte sich nicht einmal in Ekstase zu
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