Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0278 - Tupilak, das Schneemonster

0278 - Tupilak, das Schneemonster

Titel: 0278 - Tupilak, das Schneemonster
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
fertigbrachte, zwei bewaffnete Männer so zu überraschen, daß sie zu keiner Gegenwehr mehr fähig waren, mußte äußerst groß sein. Und hatten nicht die Alten immer erzählt, daß ein Tupilak ein außerordentlich großes Ungeheuer war?
    Er konnte es also kaum übersehen.
    Damit beging er gleich zwei Fehler zugleich.
    Er wiegte sich in trügerischer Sicherheit. Der Tupilak folgte seiner Spur, kroch aus dem Eiswasser der Bucht hervor, folgte Taun. Taun sah sich nicht um. Der Tupilak war kein lebendesWesen aus Fleisch und Blut, also konnte er auch keinen Laut hervorbringen. Und die schleifenden Geräusche, mit denen er sich über den Schnee bewegte, überhörte Taun in seiner Müdigkeit.
    Der Tupilak kam immer näher.
    Schließlich war er direkt hinter Taun. Da endlich ahnte dieser die Gefahr, hatte vielleicht ein winziges Geräusch wahrgenommen. Er wirbelte herum, sah die schwarze furchtbare Gestalt im Dämmerlicht aufragen.
    Sie steilte sich auf, langte mit ihren entsetzlichen krallenbewehrten Pranken nach Taun. Er riß das Gewehr noch hoch, spannte den Hahn.
    Die Trommel bewegte sich. Aber ehe er noch den Abzug betätigen und den Schuß auslösen konnte, war der Tupilak über ihm. Er warf sich auf ihn und zerfetzte ihn. Taun kam nicht einmal mehr zum Aufschreien.
    Der Tupilak verharrte und witterte. Er orientierte sich und glitt in das kleine Dorf hinein, nachdem er sicher war, den zu dieser Stunde einzigen Wächter beseitigt zu haben. Niemand hörte ihn, niemand sah ihn, niemand hielt ihn auf.
    Mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit fand er den Iglu des Häuptlings. Er entdeckte den Zugang, bohrte sich mit der spitzen Nase hinein und arbeitete sich weiter. Eis- und Schneebrocken, Felltürfetzen flogen nach allen Seiten. Ein Mann, der Andar hieß, fuhr mit einem entsetzten Schrei von seinem Lager auf. Da war der Tupilak schon über ihm und fraß sein Leben und das seiner Frau. Nichts Lebendiges blieb in dem Iglu zurück. Nach vollbrachter Untat jagte der Tupilak so rasch er konnte zurück zum Wasser. Männer, die vom Schrei des sterbenden Häuptlings alarmiert wurden, sprangen mit schußbereiten Waffen aus ihren Schneehütten. Sie sahen den flüchtenden Tupilak und jagten ihm einen Schuß nach dem anderen nach. Sie sahen die Kugeln in seine schwarze, wie nasses Leder glänzende Haut einschlagen, aber sie erzielten keine Wirkung. Der Tupilak schrie nicht, er zuckte nicht zusammen. Er setzte einfach seine Flucht fort. Es gab nicht einmal eine Blutspur.
    »Habt ihr etwas anderes erwartet?« fragte der Schamane düster. »Es ist ein Tupilak!« Und damit glaubte er alles gesagt zu haben.
    »Tu etwas gegen ihn!« beschworen ihn die Männer.
    »Ich kann nichts tun, solange ich nichts über ihn weiß«, wehrte der Schamane ab. Und die Männer wußten, daß er Recht hatte. Denn sie wußten um die alten Überlieferungen. Und sie erschauerten.
    »Wer ist der Gegner, der uns den Tupilak schickte? Ist es eine Sippenfehde, oder die eines anderen Stammes gegen uns? Wie oft wird der Tupilak noch zuschlagen? Bis der letzte von uns tot ist? Oder wird die Rache vorher erfüllt sein?«
    Der einzige, der darauf eine Antwort hätte geben können, schwieg.
    Denn Shinan wußte nur zu gut, daß sie ihn bedenkenlos töten würden.
    Und die alten Traditionen gaben ihnen das Recht dazu. Wie auch immer die neuen Gesetze niedergeschrieben wurden – ein Schamane, der sich gegen seinen eigenen Stamm wandte, besaß nicht länger das Recht zu leben.
    Deshalb schwieg Shinan.
    Aber er triumphierte. Er wußte, daß der Köder wirkte. Der Fisch mußte anbeißen – schon bald. Denn die sogenannten Segnungen der Zivilisation, die ihre Finger auch in die äußersten Bereiche menschlichen Lebens ausstreckten, arbeiteten für ihn.
    ***
    Das Wirken des Tupilak blieb kein Stammesgeheimnis. Die Presse erfuhr davon. Ein Reporter schrieb einen Bericht und illustrierte ihn mit Fotos der aufgefundenen Leichen. An jedem Tag gab es einen Toten – mindestens.
    Im Schneedorf herrschte das Entsetzen. Niemand wußte, wer das nächste Opfer des Tupilak sein würde. Der Reporter tat noch mehr als nur einen Sensationsbericht zu schreiben: er rollte Hintergründe auf und berichtete über die Legenden und Mythen der Eskimos. Und so erklärte er den geneigten Lesern auch den Begriff Tupilak.
    Der Bericht wurde von einer Presseagentur aufgekauft, übersetzt und weitergeleitet. Es war Sommer, die sogenannte »Saure-Gurken-Zeit«, in der es nicht viel gab, über das zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher