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027 - Ruf des Blutes

027 - Ruf des Blutes

Titel: 027 - Ruf des Blutes
Autoren: Timothy Stahl
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wie Tag und Nacht. Rhian war nicht nur von der Kunst des Lesens an sich fasziniert und in Bann geschlagen, sondern auch vom Inhalt der Bybell.
    Weil es jene Welt, von deren Entstehung und Geschichte darin die Rede war, angeblich wirklich einmal gegeben hatte. Davon war Mutter felsenfest überzeugt. Doch irgendwann - vor so langer Zeit, dass keine lebende Seele sich mehr daran zu erinnern vermochte - war eingetreten, was in einer der letzten Geschichten der Bybell prophezeit worden war:
    »… und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde… und der Himmel wich… und alle Berge und Inseln wurden bewegt von ihrem Ort.«
    Die Apokalypse. Der Jüngste Tag.
    Man hatte den Untergang lediglich anders genannt: Kristofluu…
    Darauf war die Welt eine andere geworden. Und die Menschen waren jenem sagenhaften Garten Eden ferner denn je…
    »Was heißt das?«, fragte Quinlan, und die Ungeduld seines Tons ließ Rhian annehmen, dass er seine Frage mindestens schon zum zweiten Mal stellte. Sie war in Gedanken versunken gewesen.
    Rhian sah noch immer hinauf zu den beiden Worten und zuckte die Schultern.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht kennt Mutter -« Das Mädchen verstummte.
    Hinter dem glänzenden Viereck an der Front des Gefährts bewegte sich jetzt tatsächlich etwas. Ein dunkler formloser Schatten nur, trotzdem fühlte sich Rhian angestarrt davon; schlimmer noch, wie von einer kalten Hand berührt.
    Und sie spürte, dass es Quinlan nicht anders ging. Dazu bedurfte es keiner Worte. Sie standen einander nahe auf eine Weise, die sich dem Begreifen entzog. Manchmal verstanden sie sich ohne miteinander reden zu müssen, und auf ganz ähnliche Art teilten sie bisweilen starke Gefühle.
    Rhian fröstelte. Ihr war, als husche etwas Kaltes auf dünnen Beinen unter ihrer Kleidung entlang und über ihre nackte Haut.
    Quinlan rückte näher und fasste nach ihrer Hand. Das half, nicht sehr, aber ein wenig zumindest. Doch auch ihr Bruder fühlte sich mehr als nur unbehaglich.
    An der Seite des Gefährts schwang ächzend und knarrend eine Metallplatte in die Höhe und gab eine übermannshohe Luke frei.
    Und dann stieg der Fremde aus seinem Gefährt. Beinahe erinnerte sein Schnaufen und Ächzen an das seines Fahrzeugs, als es vorhin in den Hof gerollt war. Jede Bewegung bereitete ihm Mühe - was in Anbetracht seiner Leibesfülle auch verständlich war. Der Mann war fett und zudem nicht mehr der Jüngste, und unter seinem dunkelroten Mantel zeichnete sich ein breiter Buckel ab, der sogar seinen Kopf noch überragt hätte, hätte er nicht einen hohen schwarzen Hut getragen. Langes graues Haar quoll darunter hervor und fiel bis auf die Brust des Mannes, wo es zu mehreren Zöpfen geflochten war.
    Als er schließlich aus dem Gefährt war, blieb er kurz stehen und holte rasselnd Atem, dann wandte er sich um, auf einen Stock gestützt, der unten in einem Huf endete und oben eine schillernde Kugel trug. Selbstdiese geringe Bewegung brachte sein schwabbeliges Gesicht in Wallung. Sein Dreifachkinn und seine lappigen Wangen schlugen gleichsam Wellen. Doch sein Lächeln war freundlich wie auch der Blick aus seinen Augen.
    Er setzte an, etwas zu Rhian und Quinlan zu sagen, doch bevor er auch nur eine Silbe sprach, hob er den Blick und schaute über die Köpfe der Geschwister hinweg.
    »Geht ins Haus.«
    Sie hatten Vater nicht kommen hören, doch er stand unmittelbar hinter ihnen. Der Wind musste seine Schritte verschluckt haben. In der Hand hielt er seinen gut armlangen Prügel, aus Hartholz geschnitzt und sorgsam zurecht geschliffen. Durchs obere und dickere Ende war ein gutes Dutzend Metallstifte getrieben, die nicht nur vom Rost dunkel waren. Damit hatte er schon manches Tier von Stall und Hühnerschlag vertrieben (und ein paar auch kurzerhand erschlagen). Zwar verstand er sich auch auf den Umgang mit wesentlich eleganteren und vor allem wirkungsvolleren Waffen, aber Vater war nun einmal ein Mann, der gern mit den Händen zu Werke ging…
    »Geht!«, verlangte er, in noch strengerem Ton diesmal, als die Kinder keine Anstalten machten, ihm zu gehorchen.
    Sie hielten einander immer noch bei der Hand. Rhian zog Quinlan mit sanfter Gewalt fort, in Richtung des Wohnhauses, wo Mutter in der offenen Tür stand. Der Wind spielte mit ihrem langen dunklen Haar.
    Da Quinlan sich nur widerwillig und entsprechend langsambewegte, schnappten sie noch Fetzen dessen auf, was Vater und der Fremde beredeten.
    Der Dicke bat um Quartier für die Nacht, bis das Unwetter
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