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0257 - Ein Grabstein ist kein Kugelfang

0257 - Ein Grabstein ist kein Kugelfang

Titel: 0257 - Ein Grabstein ist kein Kugelfang
Autoren: Ein Grabstein ist kein Kugelfang
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Vorträge fanden in bürgerlich renommierten Restaurants statt, die über einen für Versammlungen genügend großen Saal verfügten. Heute, am 13. November, war ein Vortrag im Restaurant Chapirelli in der East 74th Street angesetzt.
    Um 3.58 Uhr nachmittags langten wir vor dem Lokal an. Ein kleiner Parkplatz war gleich in der Nähe. Wir schwangen uns aus dem Jaguar, nahmen wieder Fühlung mit dem grauen Novemberwetter, schlossen den Wagen ab und schlenderten dann zu Chapirellis Grillroom. Ein mächtiges gelbes Plakat mit grellroter Beschriftung tat allen, die es wissen wollten, kund, daß N. M. Kysella heute darüber sprechen und es an praktischen Beispielen vorführen werde, wie man mit Gangstern, Teenager-Ganoven und ähnlichem Gelichter schnell und wirksam fertig werde. Kysella bezeichnete sich selbst als Sachverständiger des Selbstschutzes. Man konnte auf dem Plakat lesen, daß Mr. Kysella mehrfacher Wettkampfsieger im internationalen sportlichen Pistolenschießen sei. Auch als Faustkämpfer und Judomeister habe er weltweiten Ruhm.
    Chapirelli, der für italienische Eisspezialitäten bekannt war, hatte im November geschäftliche Flaute. Offensichtlich gab es im kalten November nur wenige Verrückte, die Chapirelli aufsuchten. Aus der geschäftlichen Flaute ergab sich wahrscheinlich auch die Bereitschaft des schwarzlockigen Italieners, sein Lokal für den Kysella-Vortrag zur Verfügung zu stellen. Wir betraten das Restaurant und waren erstaunt über die große Zahl der Besucher, die sich für 50 Cent Eintritt verschafft hatten. Auch wir zahlten einen Dollar und erhielten dafür von einem mickrigen Jüngling zwei blaßrosa Eintrittskarten, auf die je eine Nummer gedruckt war.
    »Hoffentlich findet keine Tombola statt«, sagte Phil. »Wenn der Kerl zum Schluß Gangster verlost, müssen wir ihm Schwierigkeiten machen.«
    »Vielleicht verteilt er abschließend Beruhigungspillen — falls sein Vortrag zu sehr an den Gemütern geknabbert hat. Möglicherweise werden wir nach laufenden Nummern aufgerufen.« Ich tippte auf mein Billett und merkte mir die Zahl »12 703«. Phil hatte »12 702«.
    Wir quetschten uns im Hintergrund auf zwei wacklige Stühle und harrten der Dinge, die da kommen mußten. Sie kamen auch, allerdings mit viertelstündiger Verspätung. Als ich Mr. Kysella sah, war ich versucht, zu lächeln. Wahrscheinlich wäre mir der Humor vergangen, hätte ich gewußt, welchen Rattenschwanz übelster Ereignisse dieser Mann uns noch bescheren sollte.
    Wenn ich behauptete, daß Mr. Kysella etwas komisch aussah, dann kann ich immer noch für mich in Anspruch nehmen, ein höflicher Mensch zu sein.
    Der Vortragsreisende in Sachen Selbstschutz und privater Gangsterbekämpfung ragte nur wenig über anderthalb Meter in die Höhe. Aus einer runden Billardkugel linsten ein Paar listige Äuglein, die sich wieselflink bewegten, und denen nichts zu entgehen schien. Der kleine Mann war dick wie ein Pfannkuchen, aber nichtsdestoweniger behende und schnell. Er schritt auf die im Vordergrund improvisierte Bühne mit der Gelassenheit eines Zirkusdirektors, der im Begriff ist, eine tanzende Affengruppe vorzuführen, die im Twistturnier den ersten Preis errang.
    Das Groteske an dem wonnig anzuschauenden Mr. Kysella waren zweifellos die beiden sorgsam gepflegten Haarbüschel, die ihm wie Eselsohren rechts und links hinter den Schläfen emporstanden.
    Die Einführungsworte waren kurz und wohlabgewogen. Kysella hielt sich nicht bei der Vorrede auf, sondern ging schnell zum ersten Thema über: Selbstschutz beim Angriff von Gangstern — mit der Waffe und mit der bloßen Faust.
    »Um Gottes willen, der Kerl macht Striptease«, sagte Phil neben mir und wollte gerade die Augen mit der Hand verdecken, als Kysella etwas anderes vorhatte. Der Dicke öffnete mit einem Ruck sein Jackett, und ich fing an zu zählen.
    »… sechs, sieben…«
    »… acht«, ergänzte Phil. »Unter der Krawatte hat er auch noch eine.«
    Wir hatten uns nicht getäuscht. Kysella trug tatsächlich acht Pistolen und Revolver unter seinem Rock. Drei steckten im Hosenbund, eine Automatik baumelte an einer langen Lederlasche direkt vor dem Bauch des Dicken. In jeder Innentasche des Jacketts war eine Waffe angebracht. Aus der aufgesetzten Brusttasche des Hemdes ragte der Griff eines kleinen Bulldogg, und selbst unter der Krawatte — zwischen den Knöpfen des Hemdes — hing eine flache Automatik.
    Das wandelnde Waffenarsenal zog seinen Rock aus, und jetzt konnte man
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