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02_In einem anderen Buch

02_In einem anderen Buch

Titel: 02_In einem anderen Buch
Autoren: Jasper Fforde
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stöhnte sie, »aber dass ich ihre Mutter bin, hab ich ihr
    nie gesagt.«
    »Versuchen Sie es mal im hintersten Schränkchen.«
    Sie ging an der Theke entlang, wühlte noch ein bisschen herum und fand schließlich den Sherry, den meine Mutter zum
    Kochen benutzte. Sie goss sich eine üppige Portion in eine
    Teetasse. Ich betrachtete die verbitterte, müde Frau und fragte
    mich, ob ich auch so enden würde.
    »Mit Lavoisier werden wir schon noch fertig«, murmelte Lady Hamilton und kippte den Koch-Sherry runter. »Das kann
    ich dir versprechen.«
    »Wir?« fragte ich vorsichtig.
    Sie warf mir einen Blick zu und goss sich einen weiteren,
    auch nach den Maßstäben meiner Mutter großen Schluck ein.
    »Na, ich und dein Vater natürlich.«
    Ich seufzte. Offenbar wusste sie noch nicht, was passiert war.
    »Genau darüber wollte ich mit meiner Mutter sprechen. Deshalb bin ich hier.«
    »Worüber wolltest du mit mir sprechen?«
    Das war meine Mutter, die gerade zur Tür hereinkam. Sie
    trug einen gesteppten Morgenmantel, und ihre Haare standen
    wirr nach allen Seiten. Wenn man bedenkt, wie misstrauisch sie
    gegenüber Emma Hamilton war, schien sie sehr unbefangen
    und freundlich. Sie wünschte ihr sogar einen guten Morgen,
    nahm allerdings den Sherry rasch von der Theke und stellte ihn
    wieder ins Schränkchen.
    »Na, du bist ja früh dran«, zwitscherte sie. »Kannst du vielleicht DH-82 nachher zum Tierarzt fahren? Das Geschwür an
    seinem Hintern muss noch mal drainiert werden.«
    »Ich hab so einiges zu tun, Mum.«
    »Ah«, sagte sie, als sie den Ernst in meiner Stimme erkannte.
    »Warst du an dieser Geschichte in Vole Towers beteiligt?«
    »Das auch. Aber eigentlich bin ich gekommen, um dir zu sagen, dass –«
    »Ja?«
    »Also, Dad hat – Dad war – Dad ist –«
    Meine Mutter sah mich fragend an, und im gleichen Augenblick marschierte mein Vater herein.
    »–ein sehr verwirrender Mann.«
    »Hallo, Kichererbse!« sagte mein Vater und sah erheblich
    jünger aus als bei unserer letzten Begegnung. »Bist du Lady
    Hamilton vorgestellt worden?«
    »Wir haben etwas zusammen getrunken«, sagte ich unsicher.
    »Aber du bist – du bist lebendig!«
    Er kratzte sich am Kinn und erwiderte: »Sollte ich das nicht
    sein?«
    Ich dachte eine Sekunde lang nach und streifte unauffällig
    den Ärmel herunter, um seinen Chronographen zu verbergen,
    den ich am Handgelenk trug. »Nein, ich meine –«
    Aber er hatte schon kapiert, was los war. »Sag's mir nicht! Ich
    will's gar nicht wissen!« Er stellte sich neben meine Mutter und
    legte ihr den Arm um die Hüfte. Es war das erste Mal seit siebzehn Jahren, dass ich sie zusammen sah.
    »Aber –«
    »Du darfst nicht so linear sein«, sagte mein Vater. »Ich gebe
    mir ja alle Mühe, euch nur in eurer chronologischen Ordnung
    zu besuchen, aber manchmal ist es einfach nicht möglich.«
    Er hielt einen Augenblick inne. »Habe ich sehr leiden müssen?«
    »Nein – nein, überhaupt nicht«, log ich hastig.
    »Ist schon komisch«, sagte er, während er den Wasserkessel
    füllte, »ich kann mich an alles erinnern bis zum Schlussvorhang
    minus zehn, danach ist alles ziemlich verwischt. Ich sehe eine
    felsige Küste und einen Sonnenuntergang über ruhiger See, aber
    sonst gar nichts. Ich habe zu meiner Zeit viel erlebt und getan,
    aber Eingang und Ausgang werden stets rätselhaft bleiben. Das
    ist auch besser so. Es verhindert, dass ich womöglich kalte Füße
    kriege und an den Ereignissen herumzufummeln und etwas zu
    ändern versuche.«
    Er löffelte den Kaffee in die Kaffeemaschine. Ich war froh,
    dass ich nur Daddys Tod miterlebt hatte, aber nicht das Ende
    seines Lebens, und dass die beiden offensichtlich wenig miteinander zu tun hatten.
    »Ach übrigens, wie steht's denn so?«
    »Na ja«, sagte ich, etwas unsicher darüber, wo ich anfangen
    sollte. »Die Welt ist gestern nicht untergegangen.«
    Er starrte in die niedrig stehende Wintersonne, die durch das
    Küchenfenster hereinschien. »Ja, das sehe ich. Gute Arbeit. Ein
    Armageddon hätte jetzt ziemlich lästig sein können. Habt ihr
    schon gefrühstückt?«
    »Lästig? Die Zerstörung der Erde?«
    »Absolut. Vielleicht sogar unangenehm«, sagte mein Vater
    nachdenklich. »Ein Weltuntergang könnte meine Pläne schon
    sehr durcheinander bringen. Sag mal, hast du mir eine Karte für
    das Konzert der Nolan Sisters gestern Abend besorgt?«
    Ich überlegte hastig. »Äh – nein, Dad – tut mir leid. Alles
    ausverkauft.«
    Erneut entstand
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