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02_In einem anderen Buch

02_In einem anderen Buch

Titel: 02_In einem anderen Buch
Autoren: Jasper Fforde
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Allerdings aus einer so unerwarteten
    Richtung, dass ich vor lauter Angst schrie. Sie sprach aus meinem Gedächtnis zu mir. Es war, als hätte sich eine Schleuse
    geöffnet. Der Tag auf dem Skyrail-Bahnsteig. Der Augenblick,
    als ich Aornis zum ersten Mal sah. Ich dachte, es wäre nur ein
    flüchtiges Hinsehen gewesen, aber so war es nicht. Wir hatten
    mehrere Minuten miteinander gesprochen, während ich auf
    den Zug wartete. Ich ließ mein Unterbewusstsein zurückwandern, und als ich die neu entdeckten Erinnerungen las, wurden
    meine Handflächen feucht. Die Antworten waren alle längst da.

    »Hallo, Thursday«, sagte die junge Frau auf der Bank und
    puderte dabei ihre Nase.
    Ich ging zu ihr hin. »Woher kennen Sie meinen Namen?«
    »Ich weiß noch viel mehr über dich. Mein Name ist Aornis
    Hades. Du hast meinen Bruder getötet.«
    Ich versuchte mir meine Überraschung nicht anmerken zu
    lassen. »Das war Notwehr, Miss Hades. Wenn ich ihn hätte
    lebend verhaften können, dann hätte ich das getan.«
    »Seit über dreiundachtzig Generationen ist kein Mitglied der
    Hades-Familie mehr freiwillig in Gefangenschaft gegangen.«
    Ich dachte an die zwei geplatzten Reifen, das Skyrail-Ticket
    und die anderen Zufälle, die mich auf die Plattform gebracht
    hatten. »Manipulieren Sie vielleicht die Wahrscheinlichkeit,
    Miss Hades?«
    »Natürlich«, sagte sie, als der Zug in die Station glitt. »Du
    wirst jetzt in diesen Zug steigen und anschließend versehentlich
    von einem SO-14-Scharfschützen erschossen. Ist das nicht ein
    originelles Ende? Von den eigenen Leuten erschossen?«
    »Und was ist, wenn ich nicht in den Zug steige? Wenn ich Sie
    stattdessen verhafte?«
    Aornis kicherte über meine Naivität. »Der gute Acheron war
    ein echter Hades, obwohl er seinen Bruder umgebracht hat –
    worüber unsere Mutter immer sehr unglücklich war. Aber mit
    einigen der wirklich teuflischen Fähigkeiten unserer Familie
    war er nie ganz vertraut. Du wirst brav in den Zug steigen,
    Thursday – denn du wirst dich an unser kleines Gespräch mit
    keinem Gedanken erinnern!«
    »Machen Sie sich doch nicht lächerlich!« lachte ich, aber Aornis wandte sich wieder ihrer Puderdose zu, und ich war in
    den Zug eingestiegen.
    »Was ist los?« fragte Wilbur, der mich verwirrt angestarrt
    hatte, während meine Erinnerungen an Aornis zurückkehrten.
    »Wiedererlangte Erinnerung«, sagte ich grimmig. Wieder
    flackerten die Lichter. Das erste Notstromaggregat war zusammengebrochen. Ich sah auf die Uhr. Wir hatten noch sechs
    Minuten.
    »Thursday?« murmelte Wilbur mit zitternden Lippen. »Ich
    habe Angst.«
    »Ich auch, Will. Sei mal einen Augenblick still.«
    Ich dachte an meine zweite Begegnung mit Aornis zurück.
    Als sie in Uffington als Violet De'ath posiert hatte, waren wir
    nicht allein gewesen, deshalb hatte sie nichts gesagt. Aber beim
    nächsten Mal, in Osaka, als der Wahrsager vom Blitz erschlagen
    worden war, hatte sie sich zu mir auf die Bank gesetzt.
    »Schlauer Trick, das Zufallsprinzip so zu benutzen«, sagte sie
    und hatte ihre Einkaufstüten so hingestellt, dass sie nicht umfielen. »Das nächste Mal kommst du nicht so billig davon. Ach, ja,
    weil wir gerade dabei sind: Wie bist du aus dem Schlamassel mit
    dem Skyrail rausgekommen?«
    Ich hatte keine Lust, die Fragen zu beantworten. »Was machen Sie mit mir?« fragte ich. »Was stellen Sie mit meinem Kopf
    an?«
    »Eine einfache Erinnerungslöschung. Ich bin mnemomorph.
    Meine besondere Stärke besteht darin, dass man mich sofort
    wieder vergisst. Du wirst mich nie schnappen, weil du sofort
    wieder vergisst, dass du mich je getroffen hast. Ich kann jede
    Erinnerung an mich so schnell löschen, dass ich de facto unsichtbar werde. Ich kann hingehen, wo ich will, stehlen, was ich
    will – und wenn ich will, kann ich im hellen Tageslicht morden.«
    »Sehr schlau, Miss Hades.«
    »Nenn mich doch bitte Aornis. Ich möchte, dass wir Freundinnen werden.« Sie strich sich die Haare hinter die Ohren
    zurück und betrachtete ihre Fingernägel, ehe sie sagte: »Ich
    habe gerade einen wunderschönen Kaschmirpullover gesehen.
    Den gibt's in Smaragdgrün und in Türkis. Was glaubst du, was
    steht mir besser?«
    »Keine Ahnung.«
    »Dann kauf ich sie mir eben beide«, sagte sie. »Die Kreditkarte ist eh nicht meine.«
    »Genießen Sie Ihr Spielchen nur«, sagte ich. »Es wird nicht
    ewig dauern. Ich habe Ihren Bruder erwischt – und Sie erwische
    ich auch noch.«
    »Und wie willst du das
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