Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
anscheinend gegen diese traumatischen Heimsuchungen immun waren, gegen so viel Selbstanalyse, Scham und Versuchung, frage ich mich, im Rückblick, immer noch, ob ich etwa besonders schwach war, besonders empfindlich oder besonders sinnenfreudig.
    Um die Süßigkeiten zu bezahlen, bestahl ich Läden, die Schule und, besonders schändlich, die anderen Jungen. Diese Diebstähle liefen, der Nahrungsaufnahme gleich, in einer Art Trancezustand ab. Flach atmendund mit glasigen Augen durchwühlte ich Zimmer und Schreibtische, während in meinem Inneren Angst, erregte Vorfreude, das Grausen und leidenschaftliche Abscheu vor mir selbst tobten. Des Nachts fiel ich in die Schulküche ein und stürzte mich auf einen Schrank, in dem große Blöcke Aspik lagerten, in das ich meine Zähne schlug wie ein Löwe in eine erjagte Antilope.
    Ich habe im
»Columbus«
die Situation geschildert, in der ich von einem Aufsichtsschüler mit Süßigkeiten, Bubblegum und Brausepulver ertappt wurde, die nur aus dem Dorfladen stammen konnten. † Ich überredete einen gutmütigen kleinen Burschen namens Bunce, bei dem ich in stiller Heldenverehrung stand, die Schuld auf sich zu nehmen. Ich hatte mich bereits so vieler Übertretungen schuldig gemacht, dass ich bei der nächsten mit einer gehörigen Züchtigung zu rechnen hatte, während Bunce, der ohne Vorstrafe oder aktenkundige Vergehen war, mit einer Verwarnung davonkommen würde. Die Sache erwies sich natürlich als Fehlschlag, denn der Direktor durchschaute unsere List. Meine Belohnung war eine Extratracht Prügel, weil ich so niederträchtig gewesen war, den unschuldigen Bunce in mein Lügennetz einzuspinnen.
    Der echte
erwachsene
und ich stehen seit der Veröffentlichung von
»Columbus«
in Kontakt. Er reagierte ganz und gar nicht nachtragend und erinnerte mich an eine Begebenheit, die ich völlig vergessen hatte.
    Ganz zu Anfang meiner Schulzeit hatte ich Bunce erzählt, dass meine Eltern tot seien.
    »Wie furchtbar für dich!« Bunce, immer mitfühlend, war tief bewegt.
    »Ja. Ein Autounfall. Ich habe drei Tanten, bei denen ich in den Schulferien abwechselnd unterkomme. Dumusst aber schwören, niemandem davon zu erzählen. Es ist ein Geheimnis.«
    Bunce nickte. Seinen milchbärtigen Zügen war mannhafte Entschlossenheit abzulesen. Ich wusste, dass er sich eher die Zunge herausreißen würde, als auch nur ein Wort fallenzulassen.
    Gegen Ende des Halbjahres fragte ich Bunce, welche Pläne er für Weihnachten habe. Es schien ihm unangenehm zu sein, eingestehen zu müssen, dass er mit seiner Familie in die Karibik reisen sollte.
    »Und was ist mit dir?«, fragte er.
    »Blödmann … natürlich bin ich in Norfolk bei meinen Eltern. Wo sonst?«
    »A-a-aber … ich dachte, deine Eltern sind tot und du lebst bei deinen Tanten?«
    »Äh. Hm. Ja.«
    Verdammt. Erwischt.
    Bunce schaute gekränkt und verwirrt drein.
    »Du darfst das nicht so ernst nehmen«, sagte ich und sah ihn durchdringend an. »Verstehst du … ich …«
    »Ja?«
    »Solche Sachen sage ich eben.«
    Wir haben nie wieder darüber gesprochen. Bis Bunce mich fünfundvierzig Jahre später daran erinnerte. Er entsann sich ganz genau an die Situation und ließ sich nicht davon abbringen, dass der exakte Wortlaut »Solche Sachen sage ich eben« gewesen war.
     
    Regelmäßig mit dem Stock geprügelt, immer in Schwierigkeiten, niemals ausgeglichen, niemals eingewöhnt oder geborgen, verließ ich die Vorbereitungsschule als Zuckerjunkie, Dieb, Phantast und Lügner.
    Dasselbe Muster wiederholte sich an meiner nächstenSchule: Uppingham in Rutland. Weitere Diebstähle, noch mehr Naschwerk. Inzwischen forderte allein schon die Menge zuckerhaltiger Nahrungsmittel, mit denen ich mich vollstopfte, allmählich ihren nicht zu leugnenden und schmerzhaften physischen Tribut. Nicht von meiner Taille, denn ich blieb dünn wie ein Bleistift, sondern dem Mund: Karies, Löcher in den Zähnen und entzündete Geschwüre waren meine ständigen Begleiter. Bis zu meinem vierzehnten Geburtstag hatte ich bereits fünf meiner Backenzähne für immer verloren. Der Hunger nach Zucker ruinierte mich. Das Hochgefühl bei der Klauerei und das Hochgefühl durch den Zuckergenuss, wenn ich dasaß und mich an meiner Beute delektierte, mündeten wie jede andere Leidenschaft unweigerlich in einen Absturz in Schuldgefühle, Trübsinn, Ekel und Abscheu vor mir selbst. So wie es mit allen Süchten ist … ob sie dem Zucker gelten, dem Shopping, dem Alkohol, dem Sex, was auch

Weitere Kostenlose Bücher