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015 - Die Heiler

015 - Die Heiler

Titel: 015 - Die Heiler
Autoren: Claudia Kern
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Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht. Es war der erste warme Frühlingstag des neuen Jahres und der erste, an dem die Fischer des Dorfes ohne Furcht vor Stürmen zu ihren Fanggründen segeln konnten. Aruula hörte die Männer in den Booten singen, während sie die Netze auswarfen. Sie waren froh, endlich wieder ihre Arbeit aufnehmen zu können.
    Es war ein harter Winter gewesen mit nicht enden wollenden Schneestürmen und eisigen Winden. Manche der Bauern, die weiter entfernt von der Gemeinschaft des Dorfs lebten, hatten ihre Hütten wochenlang nicht verlassen können und schließlich Tische und Stühle verfeuert, um etwas Wärme zu bekommen.
    Aruula lebte mit ihrer Familie zwar mitten im Dorf, aber auch dort froren die Menschen den ganzen Winter über. Selbst jetzt glaubte sie zu fühlen, wie die Kälte in ihr aufstieg.
    Die Erwachsenen sagten, es sei ein Wunder, dass alle Kinder den Winter überlebt hätten. Es war Aruulas vierter gewesen.
    Sie wandte sich von der Reling ab und hockte sich auf die knarrenden Planken. Ihr Vater hatte sie heute zum ersten Mal zum Fischen mitgenommen, aber irgendwie hatte Aruula sich die Fahrt auf dem Boot aufregender vorgestellt.
    »Vater«, fragte sie, »wann kommen denn die Fische?«
    Der hochgewachsene Mann, der auf der Ruderbank saß und einen Arm locker über das Steuer gelegt hatte, lächelte. »Du musst Geduld haben, Aruula. Das ist die höchste Tugend eines guten Fischers.« Er zeigte auf die anderen Boote. »Sobald wir einen Kreis gebildet haben, kannst du die Fische sehen.«
    Aruula seufzte. Die Boote lagen im Abstand von jeweils einem Steinwurf auseinander.
    Zwischen ihnen hingen mit Steinen beschwerte Netze, die tief ins Meer hinein reichten.
    Aruulas Vater hatte ihr vor der Fahrt erklärt, wie die Treibnetze der Fischer funktionierten. Dabei hatte er allerdings nicht erwähnt, wie lange es dauerte, bis der eigentliche Fischfang begann.
    »Darf ich dann auch einen Fisch fangen?«, fragte sie.
    »Natürlich. Aber sie sind sehr schnell. Es wird dir vielleicht nicht gelingen.«
    Aruula schnaufte beleidigt. Dachte ihr Vater etwa, sie habe noch nie einen Fisch gesehen?
    Das waren doch nur kleine glitschige Tiere, die zappelnd in Salzfässern lagen. Selbst der kleine Rogad, der einen Winter jünger als sie war, hatte keine Schwierigkeiten, so einen Fisch zu fangen.
    Ihr Vater lachte, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Vermutlich hatte er in ihren Gedanken gelesen.
    »Warte ab«, sagte er.
    Und das tat Aruula - weil sie keine andere Wahl hatte. Fast schon bereute sie, so lange bei ihrer Mutter gebettelt zu haben, bis diese dem Ausflug zustimmte. Die anderen Kinder waren zwar vor Neid erblasst, aber wenn Aruula daran dachte, dass ihre Freunde gerade Hokepok am Strand spielten, war sie es, die neidisch wurde. Missmutig nahm sie die beiden kleinen Holzfiguren aus der Tasche, die ihr Vater im Winter geschnitzt hatte. Die eine stellte einen Fisch dar, die andere einen Mann, der eine Harpune in der Hand hielt - vorausgesetzt, man besaß viel Phantasie, denn Aruulas Vater war alles andere als ein begnadeter Holzschnitzer.
    Aruula störte das nicht. In ihrer kindlichen Vorstellungskraft wurden aus den ungleichmäßig bearbeiteten Holzstücken ein Hüne und sein tödlicher Gegner.
    Sie setzte sie auf den schwankenden Boden und versenkte sich in das Spiel. Wenn schon das wirkliche Leben keine Abenteuer bot, dann doch zumindest ihre Phantasie…
    Ein Schleier legte sich über Aruulas fiebernde Gedanken. Sie stand plötzlich neben ihrem kindlichen Körper und betrachtete die Szene über die Distanz der Jahre hinweg. Das Knattern des Segels im Wind, das Plätschern des Wassers, die ruhige Stimme ihres Vaters und die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut.
    Aruula hatte geglaubt, all das vergessen zu haben, doch die Erinnerungen waren nur verschüttet gewesen und drängten jetzt wieder an die Oberfläche.
    Als sie die Holzfiguren in ihren Händen betrachtete, wurde Aruula schlagartig bewusst, welchen Tag sie noch einmal durchleben musste.
    Ihre Finger begannen zu zittern, und sie sah mit Tränen in den Augen zu ihrem Vater auf, der ahnungslos am Ruder saß. Sie wollte ihn warnen, aber aus ihrem Mund drang nur das leise Summen eines Kindes, das sich im Spiel verloren hat.
    Es war der Tag des ersten Fischzugs. Der Tag, an dem die Barbaren kamen…
    ***
    Während Matt so schnell es ging dem Bach folgte, verfluchte er abwechselnd seine eigene Unaufmerksamkeit und die fehlenden Antibiotika des
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