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0128 - Die Hexe aus dem Fluß

0128 - Die Hexe aus dem Fluß

Titel: 0128 - Die Hexe aus dem Fluß
Autoren: Werner Kurt Giesa
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brannten sich an dem schlanken Nebelwesen fest. »Was sagst du da, was bedeutet das?«
    »Das Opfer hat keine Seele mehr.«
    Der Mann atmete tief durch, dann strich er sich durch sein Haar. »Du bist verrückt«, murmelte er.
    Er riß die Tür auf. Der grelle Lichtschein aus dem Korridor drang in den dämmrigen Raum ein. Yanaa fuhr erschrocken zurück, preßte sich in den dunkelsten Winkel. Noch war sie nicht stark genug. Das helle Tageslicht vermochte ihr zu schaden. Noch…
    Der Fuß des Mannes stieß gegen den reglosen Körper, der im Korridor lag. Eine junge Frau, eine Italienerin. Er hatte sie hier gefunden und sofort gewußt, daß Yanaa, die Nebelhexe, sie geholt hatte. Eine andere Möglichkeit existierte nicht.
    Er wandte sich um. »Kannst du ihre Seele zurückgeben?« fragte er rauh.
    Yanaa schüttelte wild den Kopf. Das schwarze Haar flog um ihre Schultern. »Ich war zu stark, sie ist vernichtet. Eine leere Hülle. Ich kann in sie eindringen, sie beleben und wieder verlassen. Doch ihre Seele existiert nicht mehr.«
    »Wahnsinn«, murmelte der Mann und kniete neben der reglosen Frau nieder. Er wußte nicht, wer sie war, wie sie hieß, hatte sie nie zuvor gesehen. Sie mochte etwas über zwanzig Jahre alt sein, war nicht gerade häßlich und trug ein knöchellanges Nachtgewand. Yanaa mußte sie mitten im Schlaf erfaßt haben.
    »Bring sie wieder fort«, murmelte er. »Sofort. Und hoffen wir, daß uns keiner so rasch auf die Spur kommt.«
    Er erhob sich wieder und zog die Tür hinter sich zu. Als er über den Korridor davonging, begannen die Konturen der Seelenlosen zu verwischen. Ein seltsames, pulsierendes Leuchten lag sekundenlang um den reglosen Körper, dann verschwand er spurlos.
    Yanaa, die Nebelhexe, war dem Befehl ihres Meisters gefolgt…
    ***
    Mario Mancianos Gedanken kreisten im Leerlauf. Tonia ist verschwunden, hämmerte es immer wieder in ihm. Tonia ist verschwunden! Tonia ist verschwunden!
    Weg, einfach nicht mehr da.
    Er wirbelte herum, riß die Tür zu dem kleinen Zimmer auf, das als Abstellraum fungierte. Nichts!
    Noch glaubte er an einen etwas makabren Scherz. Aber nicht lange. Es war einfach unglaublich. In den wenigen Minuten seiner Abwesenheit war die fest schlafende Frau verschwunden!
    Seine Hand glitt über das Bettlaken. Es war noch warm, noch nicht abgekühlt. Tonia mußte erst vor wenigen Augenblicken verschwunden sein. Er entsann sich der Bewegung, die er zu sehen geglaubt hatte. Hatte er sich doch nicht getäuscht, war da wirklich etwas gewesen? Etwas Unfaßbares, das seine Tonia entführte?
    Mario Manciano gehörte nicht zu jener Sorte Mensch, die bei allem, was sich nicht auf Anhieb erklären läßt, in Aberglauben verfällt. Und doch irrten seine Gedanken in diesem Moment zur Legende von Yanaa, der Nebelhexe, ab.
    Yanaa!
    Vor Jahrtausenden sollte sie hier am Gardasee ihr unheimliches Hexenhandwerk getrieben haben, damals, noch bevor sich die Römer über das Land ausbreiteten. Aus den Bergen kam dann ein Held, der die Hexe im Zweikampf besiegte und in die Tiefen des Lago di Garda verbannte. Dort sollte sie gefangen schlafen, bis jemand sie wieder rief. Zuweilen sollte der Nebel über dem See ihre Gestalt abbilden, sagte man.
    Yanaa, die Hexe, war eine Seelenfängerin gewesen. Aber nie hatte Mario davon erzählen hören, daß sie Menschen entführte. Also schied diese Hexe aus.
    Ruckartig richtete sich der Italiener auf. Aberglaube! Yanaa war nur eine Erzählung, war nicht ernst zu nehmen. Jemand hatte Tonia entführt, vielleicht, um ihn unter Druck zu setzen. Aber warum? Er verdiente keine Millionen und Milliarden wie der Engländer in seiner Prunkvilla bei Bardolino, um dessen Anwesen ständig Leibwächter patrouillierten. Er besaß auch sonst nichts Wertvolles, das eine Erpressung lohnte.
    Hilflos hob er die Schultern. Mein Gott, dachte er, warum Tonia? Warum?
    Da flimmerte es über dem Bett!
    Mario schrie. Zu groß war der Schock, aus dem grünlichen Flirren, das sich rasend schnell verdichtete, Tonia auftauchen zu sehen - seine Frau, reglos und anscheinend immer noch schlafend, kam sie aus dem Unsichtbaren und lag dann auf der Bettdecke, als sei sie nie verschwunden gewesen.
    »Tonia!«
    Sein Schrei riß sie aus dem Schlaf. Weit öffneten sich ihre Augen, die ihn nichtbegreifend ansahen. Ruckartig richtete sie sich auf und wich, auf die Ellenbogen gestützt, vor ihm zurück.
    Ihre Augen! schoß es durch seinen Kopf. Was ist mit ihren Augen los?
    Tote, stumpfe Augen, die ihn
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